Post aus den USA

Ein guter Ort, um sich aus der Hand lesen zu lassen

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Beobachtungen der US-Korrespondentin im Wahljahr. Diesmal: ein E-Roadtrip nach Atlantic City.

Wenn Sie meine Kolumnen an anderen Stellen dieser Zeitung kennen, wissen Sie, dass ich eine ausgeprägte Faszination für New Jersey hege. Hier landete mein Flugzeug, als ich 2021 in die USA übersiedelte; hierher zieht es mich, wenn ich melancholisch auf den Atlantik-Horizont starren muss. So ein Bedürfnis hatte ich jüngst und ich machte mich mit Freunden auf, um das für New Yorker schier Undenkbare zu tun: den Lincoln Tunnel passieren, Manhattan hinter sich lassen, den Turnpike Richtung Süden nehmen.

Es half freilich, dass einer der Freunde ein Autotester ist. Wir fuhren einen neuen BMW i7, dessen wohl gutgemeint protziges Interieur uns nicht nur in eine Turkish-Airlines-Lounge auf Rädern versetzte, sondern zugleich auf das Roadtrip-Ziel einstimmte: die Casino-Küstenstadt Atlantic City. Hier vagabundierte dereinst Bruce Springsteen; dieser Tage, meinte ein Freund, würde einen dort eine Frau am Boardwalk erwarten, die ein Klavier mit ihrer Zunge bespielen könne. Wir waren beeindruckt. Und: Der Autotester verzieht demnächst ins Silicon Valley. Atlantic City, mit seinen verfallenen Spaßpalästen und betonierten Bettenhochburgen, würde ihm allen Grund geben, die Ostküste guten Mutes hinter sich lassen zu können. New Jersey to the rescue!

Die Frau mit dem Clavilingus-Talent fanden wir nicht, dafür einen Parkplatz in der Garage des ehemaligen Trump Taj Mahal. Die Stromzapfsäulen waren belegt, die Bedürfnisse des i7 mussten also warten, und wir schlängelten uns durch die Menschenmassen zum Strand, wo uns ein fliederblauer Himmel und eine Wahrsagerin namens Mona begrüßten. Sie prophezeite dem Autotester den anstehenden Umzug und las aus meiner Hand, ich würde Dinge anziehen, die mit „J“ beginnen. Ich schob das kleinlaut auf mein Ekzem. Miss Mona trug aber einen Harvard-Jogginganzug, vielleicht verlieh ihr das genug Autorität, um mich ins Grübeln zu bringen. Stunden später fand ich mich auf einem Parkplatz am Jersey Shore wieder, während der i7 langsam seine Elektroration aufsaugte, zählte ich die Js in meinem Leben. Tatsächlich gibt es wenige, deren Namen nicht mit einem J beginnen, die mich schwer beeindruckt vulgo aufgeregt haben. Dann natürlich: Journalismus. Und: New . . . Jersey?!

Der Autotester behielt glücklicherweise ob all der Wahrsagerei einen kühlen Kopf. Ihn brachte nur die Ladedauer auf die Palme: „Ich bin jetzt bereit für Kalifornien.“  

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