Sträflich vernachlässigt: Handhygiene im Spital

(c) AP (Matthias Rietschel)
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Krankenhaus: Die Einhaltung einfacher Maßnahmen zur Patientensicherheit könnte Menschenleben retten.

Verblutende Kinder nach Mandeloperationen, chirurgische Eingriffe an der falschen Körperseite: „Solche Vorfälle sollten endlich systemübergreifende Änderungen statt alibihafter Reaktionen in Einzelfällen nach sich ziehen“, wünscht sich Univ.-Prof. Dr. Norbert Pateisky, Leiter der Abteilung „Klinisches Risikomanagement“ an der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde. „Es wäre schön, wenn für das Thema Patientensicherheit ähnlich große Kampagnen gestartet würden wie wie für oder gegen ,Licht am Tag‘.“

Dann wäre das „Jahr der Patientensicherheit“, zu dem die österreichische Ärztekammer das laufende Jahr erklärt hat, sicher in medizinischen und nicht-medizinischen Kreisen wesentlich bekannter.

Beinahe-Katastrophen analysiert

Auch die Weltgesundheitsorganisation ist vor einigen Jahren auf den Zug Patientensicherheit aufgesprungen und hat sich da den Patientensicherheits-Zielen der Joint Commission International (JCI) angeschlossen (JCI ist eine Organisation, die Spitälern Gütesiegel für deren Arbeit ausstellt, wobei die Rechte, die Zufriedenheit und die Sicherheit des Patienten im Mittelpunkt stehen).

Die Joint Commission International hat weltweit Zwischenfälle und Beinahe-Katastrophen gesammelt, analysiert (unter welchen Umständen ist was passiert und wie ist das zu verhindern) und danach ihre Patientensicherheits-Ziele mit empfohlenen Vorgangsweisen zur Vermeidung von Fehlern und Zwischenfällen erstellt.

Sollte nicht mehr passieren

„Fragen Sie jemanden in Österreich nach diesen Empfehlungen für die Patientensicherheit, die kennt fast niemand, dem wird hierzulande zu wenig Wert beigemessen“, ist Pateisky überzeugt.

Einer, der sie mit Sicherheit kennt, ist Dr. Ralph Spernol, medizinischer Direktor des LKH Villach. „Anfang dieses Jahres hat die JCI diese Patientensicherheits-Ziele zusätzlich zu den bisherigen Standards in ihren Prüfkatalog aufgenommen und im Rahmen der Akkreditierung einen Schwerpunkt auf Einhaltung der Patientensicherheits-Ziele gelegt.“

Weniger Spitals-Tote

Immer wieder tödlich: Die meisten Medizin-Maßnahmen gehen gut aus. Dennoch kommt es vor – noch immer zu häufig –, dass der falsche Körperteil operiert, das falsche Medikament verabreicht wird – immer wieder mit tödlichen Folgen.
Diese Gefahr kann deutlich verringert werden: Durch spezielle Trainings, durch die Einhaltung der Patientensicherheits-Ziele wie sie WHO und Joint Commission International(JCI) empfehlen. Allein: Diese Empfehlungen sind in Österreichs Medizinerkreisen nicht sehr bekannt.
Das LKH Villach beispielsweise hat diese Empfehlungen übernommen und ist von der JCI heuer bereits daraufhin geprüft worden. Prüfung bestanden.

Das LKH Villach wurde heuer zum zweiten Mal von der JCI unter die Lupe genommen (passiert alle drei Jahre) und hat wiederum erfolgreich abgeschnitten. Spernol: „Dass das falsche Bein operiert wird, sollte bei uns eigentlich nicht passieren, sollte niemandem passieren, der sich an die Vorgaben der Patientensicherheits-Ziele hält.“

Checkliste statt „Kunstfehler“

Die Einhaltung allein von Punkt vier der JCI-Patientensicherheits-Ziele kann davor bewahren: „Direkt vor Beginn des Eingriffs sollte ein ,Time-out‘ erfolgen, das es dem gesamten Operationsteam ermöglicht, sich hinsichtlich des richtigen Patienten, Eingriffs und Körperteils zu vergewissern.“

„Bei diesem Time-out“, so Spernol, „gibt es eine letzte Kontrolle, bevor der bereits narkotisierte Patient unters Messer kommt. Da wird noch einmal kontrolliert, ob es der richtige Patient ist, der richtige Körperteil, ob alles Benötigte vorhanden ist, kurz, da wird, wie in einem Flugzeug auch, an Hand einer Checkliste alles Wichtige noch einmal überprüft.“

Viel zu selten: Händewaschen

Bezüglich Operationen gibt es folgende weitere JCI-Empfehlung: „Markieren Sie den Körperteil, an dem der Eingriff durchgeführt werden soll. Beteiligen sie den Patienten daran“, heißt es im JCI-Papier. „Am Tag vor dem Eingriff geht ein Arzt zum Patienten, klärt ihn auf und sagt: ,Morgen operieren wir Ihren linken Ringfinger, den werden wir jetzt markieren.‘ Ist es der falsche Finger, wird sich der Patient sicher zu Wort melden“, detailliert Spernol. „Das ist eigentlich alles sehr trivial, alles sehr einfach, aber es macht halt kaum jemand.“

Selbst das so „triviale“ Patientensicherheits-Ziel Nummer sechs, das vom Spitalpersonal regelmäßige Handhygiene (Händewaschen) verlangt, wird internationalen Publikationen zufolge von weniger als 50 Prozent des Krankenhauspersonals eingehalten. „Infolge dieser mangelnden Handhygiene gibt es regelmäßig vermeidbare Todesfälle“, weiß Pateisky. Aber schuld sei nicht der Einzelne, sondern das System. „Wieso schafft es das System nicht, den Einzelnen von der Wichtigkeit der Handhygiene zu überzeugen?“, fragt der Experte.

Das System ignoriere auch die Leistungsgrenzen und die Tagesverfassung des Einzelnen, „auf all diese Dinge wird in anderen Hochsicherheits-Branchen sehr wohl reagiert“, sagt Pateisky und stellt wieder einmal die Fliegerei vor den Vorhang.

Fehlt in der Medizin gänzlich

„Hier wird schon bei der Pilotenausbildung und selbstverständlich auch bei späteren regelmäßigen Trainings, die bis zur Pension verpflichtend sind, intensiv auf menschliche Leistungsfähigkeit und deren Grenzen eingegangen. Darüber hinaus werden in regelmäßigen Abständen Verhaltensweisen trainiert, wie man im Krisenfall, unter großem Zeitdruck als Team optimal reagiert.“ Das fehle in der Medizin gänzlich.

Tot nach falschem Medikament

Immer wieder, so Pateisky, passierten auch fachlich exzellenten Ärzten Fehler, die den Betroffenen im Nachhinein vollkommen unerklärlich seien. „Zu den Klassikern zählt hier das Verabreichen eines falschen Medikaments.“ Ein Fehler, der immer wieder Patienten das Leben kostet.

Und hinterher ist man in der Medizin meist nicht klüger, belässt es vielfach bei der Suche nach dem Schuldigen. Schuld an Fehlern und Unfällen sind – das weiß man aus anderen Hochsicherheits-Branchen sehr wohl – in 80 Prozent Mängel in Teamarbeit und Kommunikation sowie die Nichtbeachtung menschlicher Belastungsgrenzen. „In der Medizin spielt dabei die ärztliche Qualifikation selten eine Rolle. Das sollte doch zu denken geben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2007)

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