Der Doktor von der Tankstelle

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Seit Anfang Mai ordiniert der Mediziner Dieter Zakel in einer Tankstelle. Der Arzt wirbt für sein neues Modell mit Medizin für Eilige - und hat dann doch vor allem eines: Zeit.

Wien. Eigentlich hat er damit rechnen müssen. Jede ungewöhnliche Geschäftsidee wird in Österreich prinzipiell einmal verdammt. Im Fall von Dieter Zakel war die Wiener Ärztekammer auch deutlich: „Es wirkt wie ein Marketinggag“, man werde die Ordination genau beobachten, ließ der stellvertretende Kurienobmann Norbert Jachimowicz via APA ausrichten.

Seit gut einer Woche ordiniert Arzt Dieter Zakel in einer Tankstelle in Wien-Döbling. Seine Leistungen: Er nennt sich jetzt „Dr.ive in“ und wirbt mit Medizin für Eilige. Geringe Wartezeiten, keine Voranmeldung, dafür 15 Minuten Zeit für jeden Patienten. Gleich bei der Türe links ist Zakels Ordination zu sehen. Die Türe steht offen. Der Tankstellenwart nickt auffordernd.

Zakel sitzt an seinem Schreibtisch und lächelt freundlich: „Nehmen Sie ruhig Platz.“ Das Anliegen der Patientin: Nesselausschlag. Quälend juckende Sache, kommt vorwiegend am Abend und weder Hautarzt noch Allgemeinmediziner sind bis auf ein paar Salben zu einem Schluss gekommen.

Alles verständlich erklären

Jetzt ist also Zakel dran. Der beginnt nachzufragen, wann, wo, wie oft der Ausschlag auftrete. Er sieht sich die juckenden Stellen an und innerhalb kurzer Zeit läuft ein Gespräch über mögliche Auslöser (Waschmittel, Lebensmittelallergie, Wärme). Er sieht sich Bilder von früheren Ausschlagschüben an und zeigt Vergleichsbilder im Internet. Er ist bemüht, alles verständlich zu erklären und der Erste, der auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Wärme, Bett, Abend und Ausschlag kommt.

Schließlich verschreibt er eine Creme (wieder einmal, aber im Nachhinein gesehen eine sehr gute) und eine Überweisung zum Hautarzt (wieder einmal) und ins Allergiezentrum. Am Ende sind gut 25 Minuten vergangen. Und das ist wohl auch der Unterschied zu anderen Ärzten. Mit seinem neuen Konzept und dem fehlenden Kundenstamm hat Zakel vor allem eines: Zeit für seine Patienten.

Bezahlt wird mit einem 50-Euro-Schein, die Rechnung schickt er selbst per Mail. Zakel hat keine Ordinationshilfe, er will seinen Betrieb so schlank wie möglich halten – um mehr Zeit für seine Patienten zu haben, sagt er. Zum Reden und Zuhören. Für Dialysepatienten sei sein Angebot sowieso nichts. Er ist der Diagnostiker, der Krankheiten einordnet, Medikamente verschreibt und verweist. Ein typischer Hausarzt eben.

Beim Outing als „Presse“-Redakteurin, die zum Test vorbeigekommen ist, ist er nicht einmal erstaunt. „Sie sind nicht die Erste“, sagt er. Gleich am ersten Tag hätte die Österreichische Gesellschaft für Qualität in der Medizin die Ordination begutachtet. Bis auf kleine Mängel (der Anstrich der Wände ist jetzt aus Latexfarbe) sei alles für gut befunden worden.

Er sagt es fast triumphierend. Man muss kein Menschenkenner sein, um Zakel als Querdenker einzuordnen. In seinen 25 Jahren Berufserfahrung hat er es nicht nur zum Facharzt für Anästhesie gebracht, sondern auch zum Notfallmediziner, zum Oberarzt, zum Chief Medical Officer bei UNO und Nato. Daneben hat er Praxen in Abu Dhabi und St.Petersburg eröffnet. Zwischenzeitlich hat er eine eigene Werbe- und Lobbyingagentur für Mediziner gegründet. Zuletzt war er an der Privatklinik in Döbling tätig, bis er sich dort mit der Leitung überworfen hat.

„Unser derzeitiges Gesundheitssystem ist viel zu unflexibel und teuer“, sagt er. Alles würde mehrmals gefördert, daher wolle jeder mitreden. Da würden alle draufzahlen, vom Arzt bis zum Patienten, sagt er. Der Drive-in-Arzt ist – das erzählt er hörbar gern – bei einem Bier mit einem Eni-Mitarbeiter entstanden. Seither sitzt er täglich, von Montag bis Sonntag, von sechs bis 22 Uhr auf der Tankstelle. Zumindest die ersten drei Monate. Wird die Praxis von den Patienten angenommen, soll das Konzept auch in anderen Tankstellen übernommen werden. Laufen, sagt er, würde es jedenfalls schon gut. Seit Praxisstart hat er 35 Patienten betreut, das mache sechs Patienten am Tag. Da jeder 50 Euro zahle, komme er Ende des Monats auf zirka 9000 Euro, rechnet er vor.

Lärm aus dem Tankstellenshop

Das Gespräch ist noch nicht zu Ende, da klopft schon der nächste Patient an die Türe. Draußen ist das Lachen der Stammkundschaft im Tankstellen-Café zu hören. Das muss man mögen. Zakel geht nach dem Gespräch mit zur Tür. Der wartenden Patient ist wieder verschwunden, also hilft er einem anderen: einem Stammkunden, der wissen will, welche Schraube er für eine Reparatur verwenden muss.

AUF EINEN BLICK

Praxis. Seit 1.Mai betreibt Dieter Zakel in Wien-Döbling eine Ordination in einer Tankstelle. Die Idee hinter dem Projekt „dr.ive in“ ist, eilige Patienten ohne Voranmeldung zu behandeln.

Zur Person: Dieter Zakel ist Allgemeinmediziner, Notarzt und Anästhesist. Er arbeitete u.a. in St. Pölten und Linz sowie für Uno und Nato. 2007 gründete er zudem eine Werbeagentur für den Gesundheitsbereich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)

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