Holzinger: Verfassungsgerichte müssen "unbequem" sein

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Mit einer Situation, wie sie momentan in der Türkei herrscht, müsse im Grunde jedes Verfassungsgericht rechnen, sagt VfGH-Präsident Holzinger. Und die Politik solle sich gut überlegen, was sie in den Verfassungsrang hebt.

Die Presse: Ziel der Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte ist es, die Unabhängigkeit von Verfassungsgerichten zu stärken. Welche Erfolge hat die Konferenz bisher erzielt?

Gerhart Holzinger: Die Konferenz ist seit ihrer Gründung von vier auf 40 Mitglieder gewachsen. Das zeigt, welche Entwicklung der Gedanke der Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa genommen hat. Das Hauptanliegen ist der Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Das ist im europäischen Kontext besonders wichtig, weil die Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsgerichten und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Gerichtshof der Europäischen Union eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass Europa als gemeinsamer Rechtsraum – funktioniert.

Was bedeutet das für die Unabhängigkeit?

Die Aufgaben der Verfassungsgerichte bringen es mit sich, dass man in einem latenten Spannungsverhältnis zu anderen Staatsorganen steht: Staatspräsident, Regierung, Parlament. Bedauerlicherweise sind Verfassungsgerichte auch in Europa nicht davor gefeit, wegen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unter Druck zu geraten. Da versucht die Konferenz mit ihren bescheidenen Mitteln – nämlich indem sie Öffentlichkeit herstellt –, die Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Verfassungsgerichten zu unterstützen.

In der Türkei kam es zu einem Schlagabtausch zwischen dem Verfassungsgericht und Ministerpräsident Erdoğan rund um das Twitter-Verbot der Regierung.

Das Verfassungsgericht hat zur Meinungsäußerungsfreiheit und zu Befugnissen des Justizministers hinsichtlich der Gerichtsbarkeit zwei sehr mutige Entscheidungen getroffen. Der Ministerpräsident und einzelne Medien haben unsachlich und unangemessen Kritik am Gericht geübt; darüber wird man im Rahmen der Konferenz noch zu sprechen haben. Aber im Grund genommen ist das, was sich in der Türkei abspielt, eine Situation, mit der man als Verfassungsgericht rechnen muss. Die Aufgabe eines Verfassungsgerichts ist es, hin und wieder auch unbequem und unangenehm zu sein.

Der Konferenz gehören auch die Verfassungsgerichte der Ukraine und Russlands an. Die beiden haben bei der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation entgegengesetzte Standpunkte eingenommen. Werden beide in Wien vertreten sein?

Das ukrainische Verfassungsgericht wird nicht dabei sein.

Freiwillig?

Die Kollegen haben uns kommuniziert, in der jetzigen heiklen Lage leider nicht kommen zu können.

Ist das russische Verfassungsgericht unabhängig vorgegangen?

Ich kann die Entscheidungen der Verfassungsgerichte aus der Entfernung nicht beurteilen. Es hat unter den Gründungsmitgliedern Diskussionen gegeben, ob es zweckmäßig ist, den Kreis der Mitglieder dieser Konferenz so weit auszudehnen, wie er jetzt ausgedehnt ist. Letztlich hat sich die Meinung durchgesetzt, die auch ich vertreten habe, dass es besser ist, miteinander zu reden, sich gegenseitig zu unterstützen, als in einem Zirkel derer zu verbleiben, die von sich glauben, die reine Lehre vertreten zu können. Der gesamte Prozess der Etablierung von Demokratie und Rechtsstaat in Osteuropa ist schwierig, und er wird – wie überall – nie hundertprozentig abgeschlossen sein. Aber man muss den Staaten Zeit geben, dieses System zu perfektionieren. Es ist nirgends – auch in Österreich nicht, wenn man unsere Geschichte betrachtet – alles Gold, was glänzt.

Sie haben zu Beginn der Legislaturperiode Reformen in Österreich eingemahnt. Glauben Sie, kommen sie noch?

Bei den Untersuchungsausschüssen habe ich den Eindruck, dass in den vergangenen Wochen eine Entwicklung Platz gegriffen hat, die Anlass zu Optimismus gibt und hoffen lässt, dass im Herbst etwas weitergeht. Also in Teilbereichen gibt es Anlass zu Optimismus.

Wie sollte eine U-Ausschuss-Reform ausschauen?

Es wäre zweckmäßig, sich an der deutschen Regelung ein Vorbild zu nehmen.


Dort ist der U-Ausschuss ein Minderheitenrecht. Gibt es im Nationalrat auch abseits des U-Ausschusses genügend Minderheitenrechte? Man denke nur an die Ministeranklage, bei der nur die Koalitionsmehrheit ihre eigenen Minister wegen Verfehlungen beim VfGH anklagen könnte.

Diese Regelung in der Bundesverfassung gibt es seit 1920. Und in den bald 100 Jahren seither ist dieses Instrument der rechtlichen Kontrolle der Regierung nie gegenüber der Bundesregierung in Anspruch genommen worden. Zur Anwendung gelangt ist sie nur in Fällen, in denen es um ein weisungswidriges Verhalten eines Landeshauptmanns gegangen ist. Ich halte es für demokratiepolitisch weise, wenn man rechtliche und vor allem verfassungsrechtliche Regelungen so gestaltet, dass sie auch wirken. Daher kann man angesichts des toten Rechts der Ministeranklage nur sagen, man soll diese Regeln so gestalten, dass sie auch wirken. Demokratiepolitisch wäre es zweckmäßig, wenn man ein geringeres Quorum als die Mehrheit vorsieht.


Sowohl U-Ausschuss als auch Ministeranklage sollten also zu einem Minderheitsrecht werden?

Ja.


Welches Quorum wäre sinnvoll, ein Drittel, ein Viertel?

Da will ich mich nicht festlegen.

Und die Hoffnung auf Reformen in anderen Bereichen haben Sie schon aufgegeben?

Nein, im Gegenteil. Ich hoffe weiter.

Die Regierung will das Amtsgeheimnis in der Verfassung reformieren. Ein guter Plan?

Der moderne demokratische Rechtsstaat ist auf Transparenz angewiesen. Jeder Schritt, der in diese Richtung geht, ist ein guter. Allerdings gibt es auch dafür eine Grenze. Insbesondere der Schutz persönlicher Daten ist eine solche. Diesbezüglich sehe ich aber im laufenden Projekt keine Probleme.


Sowohl der Bund als auch die neun Länder sollen die neue Informationspflicht einschränken dürfen. Ist das sinnvoll?

It's federalism! Wenn man einen Bundesstaat hat, dann gibt es eine Vervielfachung der Gesetzgebungskompetenz. Ich widerstehe nun der Neigung, etwas zur grundsätzlichen Reform des Föderalismus zu sagen.


Ein Streitpunkt ist, ob ein eigener Transparenzbeauftragter bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bürgern und Behörden entscheiden soll, ob amtliche Unterlagen herausgegeben werden. Der Regierungsentwurf sieht das nicht vor, stattdessen sollen Bürger gleich vor die Verwaltungsgerichte gehen, wenn die Behörde Akten nicht herausgeben will. Was ist Ihre Meinung?

Nachdem wir die begrüßenswerte Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit geschafft haben, sollten wir nicht wieder neue Organe einführen. Ich gehe davon aus, dass ein Rechtszug an die Verwaltungsgerichte ausreicht. Sollte sich herausstellen, dass dem nicht so ist, muss man sich etwas Neues überlegen.


Die Politik schreibt immer wieder neue Details in die Verfassung, etwa den Tierschutz, die Nachhaltigkeit oder die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung. Ist es sinnvoll, das alles in die Verfassung zu schreiben?

Was der Verfassungsgesetzgeber für richtig hält, das soll er verfassungsrechtlich regeln. Freilich hoffe ich, dass dies mit Bedacht geschieht, denn eines ist klar: Wenn etwas in Verfassungsrecht gegossen wird, ist es potenziell Thema für den Verfassungsgerichtshof und für Entscheidungen des VfGH. Und dann darf man nicht darüber klagen, dass der VfGH die Politik dominiere. Das tut der VfGH nicht. Es kann aber passieren, dass etwas herauskommt, was nicht dem entspricht, was die Politik wollte. Das muss man sich überlegen, bevor man etwas in die Verfassung schreibt.

ZUR PERSON, ZUR KONFERENZ UND ZUM KONGRESS

Gerhart Holzinger ist Oberösterreicher des Jahrgangs 1947. Er arbeitete von 1975 bis 1995 im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, seit 1984 als dessen Leiter. 1995 wurde er zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofs ernannt. Parallel zur Arbeit als Praktiker war Holzinger auch als Wissenschaftler aktiv: Er habilitierte sich 1997 an der Universität Graz, wo er seit 1998 Lehrbeauftragter ist. 2002 wurde ihm der Titel Universitätsprofessor verliehen. Von 1999 bis 2003 war er Vorsitzender des Menschenrechtsbeirats im Innenministerium. Seit 1. Mai 2008 ist er Präsident des Verfassungsgerichtshofs, seit 2011 Vorsitzender der Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte.

Die Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte wurde im Jahr 1972 in Dubrovnik von den Verfassungsgerichten von vier Ländern gegründet: Österreich, Deutschland, Italien und Jugoslawien. Mittlerweile zählt die Konferenz 40 Vollmitglieder, und zwar weit über die EU hinaus: So sind auch die Verfassungsgerichte Russlands, der Ukraine, der Türkei, aber auch der Schweiz Mitglieder der Konferenz. Ziele der Konferenz sind der Informationsaustausch über die Tätigkeit der Verfassungsgerichte und die Stärkung der Unabhängigkeit der Verfassungsgerichte als wesentliches Element für die Garantie und Umsetzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Treffen in Wien. Die Konferenz tritt alle drei Jahre zu einem Kongress zusammen, und zwar in jenem Land, das für diesen Zeitraum den Vorsitz stellt. Das ist seit 2011 der österreichische Verfassungsgerichtshof. Heute, Montag, wird in der Hofburg der XVI. Kongress der Konferenz eröffnet. Hauptthema der zweitägigen Beratungen der in Wien versammelten Höchstgerichtspräsidenten ist die Zusammenarbeit der nationalen Verfassungsgerichte mit den europäischen Höchstgerichten, also dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg. Nach Österreich übernimmt Georgien für drei Jahre den Vorsitz in der Konferenz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)

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