Basar Brüssel: Großes Gefeilsche um EU-Spitzenposten

BELGIUM EUROPEAN PARLIAMENTARY ELECTIONS EPP JUNCKER
BELGIUM EUROPEAN PARLIAMENTARY ELECTIONS EPP JUNCKER (c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET
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Will Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident werden, muss er den Regierungschefs ein gutes Angebot machen.

Brüssel. Für gewöhnlich ist das Ergebnis eines EU-Gipfels eine klare Sache: Während die Staats- und Regierungschefs im Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius über die getroffenen Vereinbarungen unterrichtet werden, werden im Ratssekretariat die Schlussfolgerungen des Gipfels vorbereitet und publiziert. Der informelle Gipfel am Dienstag, bei dem das Ergebnis der EU-Wahl im Mittelpunkt stand, stellte in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar: Erstens, weil es diesmal kein Abschlussdokument gab – wenn man von einer Erklärung zur Lage in der Ukraine absieht. Und zweitens, weil selbst die Pressekonferenz der wichtigsten Spitzenpolitikerin der Union keine Klarheit darüber brachte, wie die EU-Granden mit dem Wahlsieg von Jean-Claude Juncker umzugehen gedenken.

Die Journalisten, die in der Nacht zum Mittwoch Angela Merkels Ausführungen zuhörten, waren sich im Anschluss an die Pressekonferenz der deutschen Bundeskanzlerin nicht darüber einig, ob die Chancen Junckers auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten nun gestiegen oder gefallen sind. Merkel, die Juncker als Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei mitnominiert hatte, vermied es nach Kräften, seinen Namen in den Mund zu nehmen, und sprach stattdessen von einem „größeren Personaltableau“, das nun gebaut werden müsse – und davon, dass sie sich an den Wortlaut des Vertrags von Lissabon halten werde. Klar ist lediglich, dass Ratspräsident Herman Van Rompuy bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni mit Juncker Konsultationen führen soll. Die Bundeskanzlerin will jedenfalls, dass alle Weichen noch vor der Sommerpause gestellt sind.

Der 2009 in Kraft getretene Reformvertrag von Lissabon hat das Kräfteverhältnis zwischen den EU-Institutionen neu austariert. Denn bis dato war die Entscheidung über die Besetzung der europäischen Spitzenposten einzig und allein die Sache des Rats, also der Staats- und Regierungschefs. Gemäß Lissabon-Vertrag wird der Kandidat für den Kommissionspräsidenten nach wie vor im Rat nominiert – allerdings „unter Berücksichtigung“ des Ergebnisses der Europawahl – und vom Europaparlament gewählt. Aus der Sicht der Parlamentarier muss der Wahlsieger – also Juncker – den Zuschlag erhalten, doch im Rat sieht man das etwas anders. Denn einige Regierungschefs wollen sich nicht vom Parlament ins Handwerk pfuschen lassen und einen Präzedenzfall vermeiden. Hinzu kommen Zweifel an der Person Junckers: Der ungarische Premier Viktor Orbán nimmt dem Luxemburger übel, dass er seine Landsfrau, Justizkommissarin Viviane Reding, auf Ungarn gehetzt habe, während für den Briten David Cameron Juncker als Exponent eines föderalistischen Europas grundsätzlich nicht infrage kommt.

Merkel steckt somit in einem Dilemma: Einerseits will sie ihre Kollegen nicht vor den Kopf stoßen – „die Arbeitsfähigkeit im Rat muss gewahrt werden“, sagte sie. Andererseits will sie keinen Konflikt mit dem Parlament heraufbeschwören, das bereits angekündigt hat, nur einen Spitzenkandidaten wählen zu wollen. Daher das Spiel auf Zeit – und das „größere Personaltableau“.

Eröffnungszug mit Thorning-Schmidt

Das Verhandlungsmandat für Ratspräsident Van Rompuy bedeutet, dass nun Juncker am Zug ist: Er muss den Staats- und Regierungschefs ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können – und dabei geht es nicht nur um seinen Posten, sondern auch um die Verteilung der restlichen Stellen und die inhaltliche Ausrichtung für die nächsten fünf Jahre. „Grundsätzlich können wir mit Juncker an der Kommissionsspitze gut leben, nur wollten wir nicht gleich zusagen, weil wir zuerst sehen wollen, welches Portfolio in der Kommission er uns anbietet“, sagte das Mitglied einer Regierungsdelegation zur „Presse“.

Gestern machte Juncker seinen Eröffnungszug: Er schlage die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt für den Posten der Ratspräsidentin und Polens Außenminister Radosław Sikorski als EU-Außenminister vor, verbreitete Junckers Kampagnenchef per Twitter. Dabei dürfte es nicht bleiben, denn es gilt ebenfalls, einen Posten für den geschlagenen sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz zu finden – möglich wäre die Wiederbestellung zum Parlamentspräsidenten – und auf die britischen Befindlichkeiten einzugehen. Cameron machte es sich zum Ziel, Großbritannien gegenüber Brüssel aufzuwerten. Mit dem Versprechen weiterer Opt-outs für London (etwa bei Sozialleistungen) und einem wirtschaftsliberalen Handelskommissar ließe sich der Brite möglicherweise umstimmen.

AUF EINEN BLICK

Bei dem nun beginnenden Postenschacher geht es nicht nur um den Job des Kommissionspräsidenten, sondern auch um zwei weitere Präsidentenposten im Rat und Europaparlament, um die Stelle des EU-Außenministers und (eventuell) um den Vorsitzenden der Euro-Gruppe. Das gesamte Personalpaket muss auf mehreren Ebenen austariert werden: erstens zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten, zweitens geografisch (Nord vs. Süd, alte vs. neue EU-Mitglieder) und drittens hinsichtlich der „Gender Equality“ (also mindestens eine Frau).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2014)

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