Ungleiche Zwillinge, getrennt durch den Atlantik

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Amerikaner und Europäer sind noch immer aneinandergeschmiedet. 70 Jahre nach der Invasion in der Normandie war die Ukraine-Krise ein Fanal dafür.

Das schönste Pathos erscheint billig, und die hehrsten Worte klingen hohl, solange sie nicht von faktischer Politik untermauert werden. Die glänzendste Rhetorik verhallt, sobald Geschützdonner aufheult und Gewehrsalven peitschen. Diese Lektion hat inzwischen auch ein Schönredner wie Barack Obama verinnerlicht, und so hat der US-Präsident zum Auftakt seines Europa-Besuchs in Warschau die wegen des martialischen Auftretens des russischen Bären aufgescheuchten osteuropäischen Nato-Partner nicht nur der Solidarität versichert, sondern ihnen auch handfestere Zusicherungen gemacht.

Zu einem Zeitpunkt, da die USA ihr Kontingent sukzessive aus Afghanistan abziehen, stärken sie mittels einer neuen Sicherheitsinitiative im Ausmaß von einer Milliarde Dollar ihre Truppenpräsenz in Europa – insbesondere im Osten. Die Macht und die Reichweite der transatlantischen Allianz sollen die Ängste der Polen und Balten, gebrandmarkt von der sowjetischen Kuratel zu Zeiten des Kalten Kriegs, bannen. Überdies soll die Demonstration militärischer Stärke den Expansionsgelüsten des Kreml-Herrn Wladimir Putin über die Krim hinaus Einhalt gebieten. Die USA signalisieren, dass sie die Europäer nicht sich selbst überlassen können – was durchaus eine bittere Note für die EU und ihre schwach ausgeprägte militärische wie politische Schlagkraft beinhaltet.


Wer hätte vor einem halben Jahr gedacht, dass das Schwarze Meer zum Exerzierfeld der Militärstrategen wird? In den USA hätten gewiss die allerwenigsten damit gerechnet. Die Supermacht schickte sich – wieder einmal – an, sich hin zum Pazifik zu orientieren und Europa und den Rest der Welt links liegen zu lassen. Obama war nicht der erste Präsident, der die Vision von der Pazifiknation USA und der Strategie einer Eindämmung der chinesischen Hegemonie formuliert hat. Aber aus dem Mund des gebürtigen Hawaiianers, aufgewachsen inmitten des Pazifiks, klang sie am einleuchtendsten.

Freilich: Die Entwürfe für eine neue Sicherheitspolitik Washingtons mögen noch so elaboriert sein, sie sind schnell wieder überholt, hinweggefegt von der drängenden Aktualität der Tagespolitik. Bill Clinton erging es so, als die Balkan-Kriege der 1990er-Jahre ausbrachen und Europa so hilflos agierte, dass es die USA zu Hilfe rufen musste. Ohne die geballte Schützenhilfe der Nato-Schutzmacht, so lautete das ernüchternde Resümee, hätte sich der alte Kontinent womöglich in den Fallstricken eines übergreifenden Balkan-Kriegs verheddert.

George W. Bush, ursprünglich als Isolationist angetreten, lieferte beim Irak-Feldzug das gegenteilige Beispiel, als er einen Teil der europäischen Verbündeten abstieß. Robert Kagan, einer der Vordenker der Neokonservativen, goss die Mentalitätsunterschiede in die prägnante Formel: „Die Europäer sind von der Venus, die Amerikaner vom Mars.“ Sie sind ungleiche Zwillinge, getrennt durch den Atlantik, aber aufeinander angewiesen – ob sie es wollen oder nicht. Ohne die Feuerkraft als Drohkulisse verkommt die Diplomatie zur stumpfen Waffe, ohne Verhandlungsgeschick wird das schiere Militärpotenzial zum Selbstzweck.


Seit Jahr und Tag beklagen die USA, dass die Europäer zu wenig für ihr Militär aufwenden. Und die Europäer lamentieren zuweilen über die abnehmende Führungskraft Washingtons und die wachsende Unlust, sich militärisch zu engagieren. Von einer Emanzipation sind sie indes noch weit entfernt, geschweige denn, dass sie die US-Militärkapazität kompensieren können – und das wird auf absehbare Zeit so bleiben.

Am Freitag, wenn die Alliierten anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums der Invasion in der Normandie zusammenkommen werden, wird die Arie der Unerlässlichkeit der Partnerschaft über der Brandung der Atlantikküste erschallen. Putin, der Gast aus Moskau, wird den Nato-Verbündeten eine lebende Mahnung dafür sein, dass die Treuebeschwörungen mit ideellen wie materiellen Kosten verbunden sind. Die Ukraine-Krise demonstriert, dass Amerikaner und Europäer immer noch aneinandergeschmiedet sind. Sie gerät zum Testfall für ein Bündnis, das die Bruchlinien des Kalten Kriegs für überwunden hielt.

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2014)

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