Die niedrige Inflation setzt die Europäische Zentralbank unter Druck. Die Notenbank dürfte den Leitzins heute von 0,25 auf 0,15 oder sogar 0,1 Prozent senken.
Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht, der extrem niedrigen Inflation und damit einer Spirale aus sinkenden Preisen, sinkenden Gehältern, geschmälertem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit zu entkommen. Um diesen Kampf zu gewinnen, dürfte sie aller Voraussicht nach am heutigen Donnerstag abermals die Zinsen senken - und zwar so tief, wie nie zuvor. Das haben mehrere Ratsmitglieder relativ klar angedeutet.
Es wird erwartet, dass der Leitzins vom aktuellen Rekordtief von 0,25 Prozent um weitere 0,10 oder 0,15 Punkte gedrückt wird. Der Hintergrund: Niedrige Zinsen können die Konjunktur ankurbeln und den Preisauftrieb beschleunigen.
Gleichzeitig dürfte die EZB erstmals einen Strafzins von Geschäftsbanken erheben, die ihr überschüssiges Geld bei der Zentralbank parken, statt es in Form von Krediten an Unternehmen und Verbraucher weiterzugeben.
Wird im Sommer "nachgelegt"?
Experten gehen bereits jetzt davon aus, dass es nicht dabei bleibt. Laut EZB-Beobachter Christoph Weil von der Commerzbank steigt mit den überraschend niedrig ausgefallenen Inflationsdaten im Mai die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB im Sommer mit weiteren Maßnahmen nachlegt. Er verweist darauf, dass Mario Draghi heute aktualisierte Inflationsprojektionen vorlegen wird, in denen die Mai-Daten nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Demnach sei die Prognose bereits mit dem Manko eines Abwärtsrisikos behaftet: Damit steige die Wahrscheinlichkeit für breit angelegte Anleihenkäufe der EZB.
Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält die Wirkung möglicher weiterer Zinssenkungen der EZBfür sehr begrenzt. "Der Handlungsspielraum der EZB ist mehr homöopathisch", sagte das Mitglied des Sachverständigenrates. Um die Wirtschaft im Euroraum zu beleben, sei weniger die Geldpolitik als die Finanzpolitik gefordert, ergänzte Bofinger.
Laut Draghi ist die EZB notfalls bereit, die Notenpresse mit solchen Käufen massiv anzuwerfen, um Deflationsgefahren abzuwenden. Dies könne unter anderem durch ein Wertpapierankaufprogramm in großem Stil erfolgen.
(Red./APA/Reuters)