Wo die Wiener Liebe zu Kleingärten entstand

Wien: Neu Brasilien
Wien: Neu Brasilien(C) Neu Brasilien
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„Neu Brasilien“. An der Unteren Alten Donau begründete ein Naturheilkundler vor mehr als hundert Jahren Wiens Schrebergartentradition.

Wien. Sehr brasilianisch schaut „Neu Brasilien“ ja erst einmal nicht aus. Gebackene Blunzenrad'ln auf Erdäpfelbummerlsalat, Wiener Zwiebelrostbraten und Topfenstrudel stehen auf der Speisekarte. Auch die karierten Tischdeckerln, die Alte Donau vor der Terrasse, das Gänsehäufel gegenüber, die Schrebergartensiedlung ringsum sind eher sehr wienerisch. Und doch trägt Olga Kornbergers Gasthaus den Namen Neu Brasilien.

Ihn verdankt das denkmalgeschützte Holzhaus – die Fassade schaut heute genau so aus wie auf Fotos von vor rund 100 Jahren – der Kleingartensiedlung Neu Brasilien, als deren Schutzhaus es entstanden ist. Neu Brasilien wurde vor genau 110 Jahren vom Naturheilkundler Florian Berndl gegründet, der damit Wiens Kleingartenkultur erfand. Aber nicht nur das, Berndl war es auch, der das Baden an der Alten Donau populär machte, indem er das Gänsehäufel entdeckte.

Das war schon in den 1870er-Jahren entstanden, als bei der „Großen Regulierung“ der Donau ein Hauptarm des Stroms abgetrennt wurde. Aber, von den Wienern wurde das Gänsehäufel nicht weiter beachtet – bis Berndl kam. Der gebürtige Waldviertler, er war erst Schneider, dann Krankenpfleger und Masseur, pachtete die Insel im Jahr 1900 von der Stadt und zog mit seiner Familie dort in eine kleine Hütte.

Und viele Wiener folgten ihm, nahmen seine alternativen Heilmethoden – er grub erschöpfte Städter in Sand ein, verordnete ihnen Säfte oder Schlammbäder – in Anspruch. Und sie pflegten dort die von Berndl propagierte Freikörperkultur oder das damals verpönte gemeinsame Baden von Frauen und Männern. Das sorgte in Wien natürlich für Aufregung, und als die Stadtverwaltung auch noch vom großen Erfolg von Berndls Bad Wind bekam, kündigten sie ihm den Vertrag, gründeten das Strandbad Gänsehäufel, und Berndl zog auf die andere Seite des Gewässers.

Weißer Sand wie an der Copa

Dorthin, wo damals der Sand am weitläufigen Strand weiß wie in Brasilien war, pachtete er Land, das er parzellenweise vermietete, gründete 1909 eine Kleingartenkolonie und nannte sie Neu Brasilien. Und begründete damit die Wiener Kleingartenkultur. Ganz am Wasser errichteten die Bewohner der Gärten ihr Schutzhaus aus Holz. Heute schaut das fast so aus wie damals, selbst der Kleingartenverein Neu Brasilien existiert noch.

Die Anfänge der Kleingarten- und Badekultur an der Alten Donau werden hier hochgehalten. An der Wand des Gasthauses hängen Bilder von Berndl, Kornberger zeigt mehrere historische Aufnahmen: Von damals, als die Tische des Schutzhauses tatsächlich auf weißem Strand wie an der Copacabana standen. In den letzten Jahrzehnten aber hat sich viel verändert. Anstelle kleiner Hütten stehen hier heute stattliche Häuschen, die ganzjährig bewohnt werden, deren Bewohner dort „ganz normal leben“, wie Kornberger sagt.

Anders als früher, als die Bewohner nur im Sommer da waren, in den Gärten Gemüse zogen, baden gingen und im Schutzhaus saßen. Auch das Neu Brasilien ist heute mehr klassisches Gasthaus an der Alten Donau als soziales Zentrum der Kleingartensiedlung. Und was hat Wiens Neu Brasilien heute noch mit Brasilien zu tun? Wo doch auch vom weißen Sand nichts übrig ist? „Na ja, außer dem Namen eigentlich nichts“, sagt Kornberger und lacht. Und erzählt dann doch von einem Brasilianer, der seit Jahren gern herkomme. Paulino, der in den Sechzigerjahren als erster Brasilianer nach Österreich gekommen ist, um bei der Vienna Fußball zu spielen. Zumindest er bringe immer wieder ein wenig Flair vom echten Brasilien an die Alte Donau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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