Großbritannien: Im Out der Europäischen Union

British PM Cameron speaks during a news conference at Swedish PM Reinfeldt's summer residence in Harpsund, south of Stockholm
British PM Cameron speaks during a news conference at Swedish PM Reinfeldt's summer residence in Harpsund, south of Stockholm(c) REUTERS
  • Drucken

Großbritannien konnte bisher auf Rücksichtnahme zählen. Mit der Fundamentalopposition gegen Juncker dürfte David Cameron aber die Flexibilität der Partner überspannen.

Wien. Es gibt ein einziges Land, das aus der Statistik fällt: Großbritannien. Eine neue Analyse des Abstimmungsverhaltens in Brüssel zeigt, dass sich kein anderes Land so oft gegen die Partner gestellt hat. Die unabhängige Organisation Votewatch hat alle Entscheidungen im Rat der EU während der letzten fünf Jahre ausgewertet. Am häufigsten stimmten demnach britische Minister gegen die Interessen Deutschlands – nämlich bei 16 Prozent der Entscheidungen. Am zweithäufigsten hatten die Briten mit den österreichischen Ministern Differenzen (15%). Im Vergleich: Deutschland und Frankreich waren sich lediglich bei sechs Prozent der Abstimmungen uneins.

Mit seiner Fundamentalopposition gegen die Bestellung von Jean-Claude Juncker zum neuen Kommissionspräsidenten stellt der britische Premier David Cameron die Flexibilität seiner Partner nun erneut auf die Probe. Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die sich anfangs um einen Kompromiss mit London bemüht hatte, kündigte vergangene Woche an, dass Großbritannien bei dieser wichtigen Personalentscheidung notfalls überstimmt werden könnte. Für ein Ja zu Juncker reichen 260 der insgesamt 352 Stimmen im Rat aus. Großbritannien verfügt gerade einmal über 29 dieser nach Landesgröße aufgeteilten Stimmen. Selbst wenn es andere kleine Länder wie Ungarn auf seine Seite bringt, reicht das für eine Blockade nicht aus.

Bisher konnte sich Großbritannien als wichtiges EU-Land stets auf ein gewisses Entgegenkommen verlassen. So hatte Merkel bei den heiklen Entscheidungen zur Finanz- und Schuldenkrise auf die Befindlichkeiten in London Rücksicht genommen. Beispielsweise wurde der Rettungsschirm ohne Großbritannien aufgestellt. Die Briten mussten weder Zahlungen noch Garantien leisten. Der von Berlin forcierte Fiskalpakt, der die Mitgliedstaaten zu mehr Vernunft in der Haushaltspolitik zwingen soll, wurde wegen Cameron außerhalb der Verträge der EU errichtet.

Auch in der Frage der Finanztransaktionssteuer wurden britische Interessen bis zuletzt besonders berücksichtigt. Elf Staaten wollen die Steuer einführen, da keine EU-weite Einigung zustande kam. Dennoch drohte Großbritanniens Finanzminister George Osborne mit Kampfmaßnahmen. „Wir werden nicht zögern, gegen eine Finanztransaktionssteuer vorzugehen, die Großbritannien oder dem gemeinsamen Markt schadet.“ London fürchtet wegen der betroffenen grenzüberschreitenden Transaktionen Einbrüche im Derivatgeschäft. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble hat deshalb im Mai angekündigt, die Steuer im Notfall außerhalb der EU bilateral zwischen den Teilnehmerländern zu vereinbaren.

Blair fordert Allianzpolitik

Dieses Beispiel ist nur eines von mehreren, bei denen Großbritannien Gefahr läuft, sich selbst politischen Handlungsspielraum zu nehmen, da die Partnerländer auf zwischenstaatliche Vereinbarungen ausweichen müssen. Ähnlich wie bei einem Austritt aus der EU, den Cameron nun auch als Drohung gegen Juncker ins Spiel bringt, wäre Großbritannien nämlich weiterhin indirekt von jenen Entscheidungen betroffen, die andere EU-Länder miteinander treffen – könnte sie aber nicht mehr beeinflussen.

Der ehemalige britische Premier Tony Blair hat seinen Nachfolger gewarnt, die Isolationspolitik auszureizen. „Man kann nur dann Bündnisse aufbauen, wenn die anderen nicht das Gefühl haben, dass man nur an Großbritannien denkt.“ Insbesondere wies Blair in einem Interview mit der „Welt“ drauf hin, dass Cameron bei Entscheidungen wie jener hinsichtlich des Kommissionspräsidenten auch auf andere politische Player Rücksicht nehmen müsse. „Großbritannien muss auch die Nöte Deutschlands verstehen.“ Es sei die Kunst hoher Politik, Allianzen unter Berücksichtigung des politischen Drucks der Partner zu schmieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

To match Special Report BRITAIN/BANKS
International

US-Banken bereiten sich auf Großbritanniens EU-Austritt vor

Citigroup und Co. erwägen laut Medienberichten, einen Teil ihrer Geschäfte aus London abzuziehen. Vor allem Irland könnte profitieren.
BRITAIN-SCOTLAND-VOTER
Europa

Aufwind für Europas Einzelgänger

In rund 50 Tagen stimmen die Schotten über die Abspaltung von Großbritannien ab. Die EU wächst zwar, und sie wächst enger zusammen, doch Nationalstaaten droht der Zerfall.
Vom Verteidigungs- ins Außenministerium: EU-Skeptiker Philip Hammond übernimmt einen neuen Posten.
Außenpolitik

EU-Skeptiker Hammond Großbritanniens neuer Außenminister

Cameron blickt auf die nahenden Wahlen. Verteidigungsminister Hammond wird neuer Außenminister, Jonathan Hill wird als EU-Kommissar nominiert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.