Im Spiel der letzten Chance fürchtet England vor allem Luis Suarez. Den 27-Jährigen zeichnen Torinstinkt, aber auch sein Skandalpotenzial aus.
Belo Horizonte. Die Meldung verbreitete sich in Uruguay wie ein Lauffeuer. „Ich bin zu 100 Prozent fit“, verlautbarte Luis Alberto Suárez Díaz, und eine ganze Nation atmete kollektiv auf. Der Stürmerstar der La celeste, der Himmelblauen, meldete sich für das wohl schon vorentscheidende Duell mit England am Donnerstag (21 Uhr, live ORF 1, ZDF) zurück, nachdem er bei der 1:3-Auftaktniederlage gegen Costa Rica 90 Minuten auf der Bank geschmort hatte. Erst vor drei Wochen hatte sich der 27-Jährige einem Eingriff am Knie unterziehen müssen, nun soll er Uruguay mit seinen Toren doch noch auf Achtelfinalkurs bringen.
Kaum ein Spieler dieser Weltmeisterschaft verkörpert eine solch streitbare Persönlichkeit wie der Angreifer des FC Liverpool. In England wurde Suárez mit 31 Toren in der abgelaufenen Saison zum Spieler der Saison gewählt, sogar Real Madrid soll an den Diensten des Mittelstürmers interessiert sein. Dabei ist Suárez wahrlich kein pflegeleichter Charakter. Vor vier Jahren, bei der Endrunde in Südafrika, machte sich der Mann aus der 100.000-Einwohner-Stadt Salto einen ganzen Kontinent zum Feind. Im Viertelfinale gegen Ghana, die letzten im Turnier verbliebenen afrikanischen Vertreter, verhinderte Suárez in der Verlängerung mit seiner rechten Hand ein Tor der Ghanaer. Den folgenden Strafstoß setzte Asamoah Gyan an die Latte, das Elfmeterschießen entschied Uruguay für sich.
Suárez ließ sich für seine Tat feiern – und goss noch zusätzlich Öl ins Feuer. „Ich habe die Parade des Turniers gezeigt. Die Hand Gottes gehört jetzt mir.“ Es hagelte Kritik und Unverständnis aus aller Welt – nicht zum ersten Mal.
Torjäger, „Kannibale“ – Rassist?
Schon während seiner – sportlich höchst erfolgreichen – Zeit in den Niederlanden ging er als der „Kannibale von Ajax“ in die Geschichtsbücher ein. In einem Spiel gegen PSV Eindhoven biss Suárez seinem Gegenspieler Otman Bakkal in die Schulter. Der nationale Verband sperrte ihn daraufhin für sieben Spiele. 2013 trat Suárez, mittlerweile im Dress des FC Liverpool, als Wiederholungstäter in Erscheinung, als er Chelseas Branislav Ivanović in den Arm biss. Die Folge: zehn Spiele Sperre.
Luis Suárez ist für den Boulevard aber nicht nur als „Kannibale“ ein gefundenes Fressen. Er trat auch bereits durch rassistische Äußerungen negativ in Erscheinung. 2011 fasste der Torjäger eine Acht-Spiele-Sperre aus, weil er Patrice Evra im Spiel gegen Manchester United als „Negro“ oder „Negrito“ bezeichnete. Suárez gab diese Aussage später sogar zu, sah darin aber keine Beleidigung, weil sie in seiner Heimat eine gängige Bezeichnung für farbige Menschen sei. Beim Wiedersehen mit Evra verweigerte er diesem den Handschlag – er hatte sich durch die Strafe ungerecht behandelt gefühlt.
Marco van Basten, der Suárez ein Jahr lang in Amsterdam trainierte, äußerte sich zum zwiespältigen Verhältnis mit seinem Stürmer wie folgt: „Luis ist unberechenbar. Er ist schwer zu beeinflussen, aber das macht ihn auch besonders.“ Das weiß keiner besser als Suárez selbst. „Meine Frau sagt: Wenn ich so zu Hause wäre, wie ich spiele, dann wäre sie nicht mehr meine Frau.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2014)