Eine Bürokratie, die ein Motor sein sollte

Die EU-Kommission verwaltet das gemeinsame Recht und entwickelt es weiter. Sie ist nur durch ihre Unabhängigkeit mächtig.

Brüssel/Wien. Die Europäische Kommission wird gerne als „Regierung“ der EU bezeichnet. Doch das ist sie nicht. Sie ist ein Verwaltungsorgan, das seine Macht aus der politischen Unabhängigkeit schöpft. Um dies zu gewährleisten, ist die Kommission auch nicht den EU-Regierungen, sondern einzig dem Europäischen Parlament verantwortlich. Die einzelnen Kommissare an der Spitze dieser Bürokratie sind entsprechend dem Vertrag auch nicht Ländervertreter, sondern müssen sich verpflichten, übergeordnete Gemeinschaftsinteressen zu verfolgen. Sie können nur durch ein Misstrauensvotum des Europaparlaments vorzeitig abgesetzt werden.

Die EU-Kommission wird vom Gremium der 28 Kommissare (darunter der Kommissionspräsident) geleitet. Sie teilen sich die Aufgaben ähnlich wie Fachminister auf. In diesem Gremium, das jeden Mittwoch im Dachgeschoß des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes tagt, fallen alle relevanten Entscheidungen gemeinsam. Diesem Gremium sind 33 Generaldirektionen und weitere elf Dienststellen, darunter beispielsweise das Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf), untergeordnet.

Die Funktion der EU-Kommission teilt sich in vier Hauptaufgaben:

Exekutivfunktion. Die Kommission ist für die Durchführung der gemeinsamen Rechtsbestimmungen verantwortlich. Sie setzt also alle EU-Regeln für den Binnenmarkt, für die Landwirtschaft, für den Konsumentenschutz, die Regional- und Strukturpolitik sowie für viele weitere Bereiche um. Zu diesem Zweck kann sie eigene Durchführungsbestimmungen erlassen. Sie verwaltet zudem den gemeinsamen Haushalt (2014: 135 Milliarden Euro an Ausgaben), der zuvor von den EU-Regierungen und dem Europaparlament beschlossen werden muss. Jährlich wird diese Finanzgebarung durch den Europäischen Rechnungshof und durch das Europaparlament kontrolliert.

Kontrollfunktion. Die EU-Kommission wird auch als „Hüterin der Verträge“ bezeichnet. Eine ihrer Hauptfunktionen ist die Kontrolle der Umsetzung von EU-Recht. Sie muss für faire Bedingungen im gemeinsamen Markt sorgen und kann bei Verstößen dagegen – etwa bei Absprachen zwischen Unternehmen oder bei Korruption – auch direkt einschreiten und Strafverfahren einleiten. Verweigern einzelne Mitgliedstaaten die Umsetzung von EU-Recht, kann sie diese vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Sie kontrolliert auch die Haushaltsführung der Mitgliedstaaten und gibt Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik ab. José Manuel Barroso hat sie deshalb als „wirtschaftspolitische Regierung“ der EU bezeichnet. Sie hat allerdings nur mittelbaren Einfluss auf die Fiskal- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten.

Legislativfunktion. Die EU-Kommission ist für die Weiterentwicklung des gemeinsamen Rechts zuständig. Sie ist das einzige EU-Organ, das die Initiative für neue Gesetze (Richtlinien, Verordnungen) ergreifen darf. Der Rat der EU und das Europaparlament können die Kommission lediglich dazu aufrufen, ein neues Gesetz zu entwickeln.

Die EU-Kommission ergreift regelmäßig selbst die Initiative, um das Unionsrecht weiterzuentwickeln. Sie wird deshalb auch als „Motor der Integration“ bezeichnet. Nicht immer sind die Vorschläge der Kommission unumstritten – wie etwa bei der im Frühjahr 2014 vom Europaparlament zurückgewiesenen Saatgutverordnung. Faktum aber ist, dass mittlerweile 70 bis 80 Prozent der für EU-Bürger und EU-Unternehmen relevanten Gesetze in Brüssel entwickelt werden. Die Kommission verfügt für die Realisierung ihrer Vorschläge allerdings über keine Regierungsmehrheit wie eine nationale politische Führung. Sie ist von der Zustimmung des Europaparlaments und des Rats (Regierungsvertreter) abhängig. Hier entstehen je nach Sachthemen unterschiedliche Koalitionen. Diese beiden Entscheidungsgremien ändern die Entwürfe denn auch oft ab.

Außenvertretung. Die EU-Kommission übernimmt darüber hinaus Aufgaben in der gemeinsamen Außenvertretung der Mitgliedstaaten. So ist sie für die gemeinsame Handelspolitik und für die gemeinsame Entwicklungshilfe verantwortlich. Sie betreibt eine aktive Nachbarschaftspolitik und organisiert die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. Dabei kontrolliert sie auch die Umsetzung notwendiger Reformen in Kandidatenländern. Im Rahmen ihrer Außenvertretung ist sie für die Verhandlung von Freihandelsabkommen zuständig – etwa jenem mit den USA. Sie vertritt aber auch die Mitgliedstaaten bei der Verhandlung zu internationalen Abkommen wie jenem zum Klimaschutz oder in der Welthandelsorganisation WTO.

Die Kommission verfügt über Delegationen in zahlreichen Drittstaaten und bei internationalen Organisationen. Die gemeinsame Außenpolitik wird seit dem Inkrafttreten des Lissabonvertrags durch den Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik koordiniert. Er/Sie ist zwar als Vizepräsident der Kommission Teil des Führungsgremiums des EU-Verwaltungsorgans, aber gleichzeitig auch dem Rat (Regierungsvertreter) verantwortlich und leitet alle Sitzungen der EU-Außenminister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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