Auge um Auge: Rachemord in Jerusalem?

People attend a memorial service for three missing Israeli teenagers whose bodies were found in the occupied West Bank, in New York
People attend a memorial service for three missing Israeli teenagers whose bodies were found in the occupied West Bank, in New York(c) REUTERS
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Nach der Ermordung von drei jüdischen Religionsschülern wurde die Leiche eines jungen Palästinensers gefunden. Rechte Extremisten haben möglicherweise das Recht in die eigene Hand genommen, befürchtet die Polizei.

Jerusalem. Dass Gewalt meist nur zu neuer Gewalt führt, ist dieser Tage erneut in Israel zu sehen: Einen Tag nach der Beerdigung der drei ermordeten Religionsschüler ist Israels Polizei mit dem Problem rechter Extremisten konfrontiert, die das Recht in die eigene Hand nehmen: Der 16-jährige Palästinenser Mohammed Abu Chedair, dessen Leiche Polizisten Mittwochfrüh in einem Wald bei Jerusalem fanden, ist möglicherweise Opfer eines Racheakts geworden.

Schon am Morgen kam es in Reaktion auf die Nachricht seines Todes in dem Ostjerusalemer Viertel Schuafat zu schweren Ausschreitungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften, die Tränengas und Gummigeschosse einsetzten. Auch im benachbarten Viertel Beit Chanina kam es zu stundenlangen Unruhen. Vor dem Elternhaus des ermordeten Teenagers soll eine Rohrbombe explodiert sein. Ein Sonderaufgebot an Sicherheitskräften sperrte die Zufahrtsstraßen.

Die polizeilichen Untersuchungen finden unter strenger Zensur statt. Noch ist unklar, wer hinter der Entführung in Schuafat steckt und wer für den Tod des Jugendlichen verantwortlich ist, dessen Leiche offenbar mit starken Verbrennungswunden in der Nähe von Givat Schaul, am anderen Ende Jerusalems, gefunden wurde. Die Eltern stritten anfängliche Gerüchte ab, ihr Sohn sei das Opfer einer Familienfehde.

Die Hamas hat jedenfalls Vergeltung angekündigt: Die israelische Führung werde den "Preis" für diese und andere Verbrechen der "Siedlerhorden" bezahlen, erklärte die radikalislamische Palästinenserorganisation am Mittwoch. Israel trage die "direkte Verantwortung" für den Tod des Jugendlichen.

„Tod den Arabern“

Das knapp drei Wochen währende Entführungsdrama und die breit angelegte Suche nach den vermissten Teenagern, die am Montag nördlich von Hebron tot aufgefunden wurden, lässt die Emotionen auf beiden Seiten hochkochen. Gleich im Anschluss an die Beerdigung des 19-jährigen Eyal Ifrach und der beiden 16-jährigen Talmudschüler Naftali Frenkel und Gilad Schaer zogen (zumeist national-religiöse) Israelis durch die Straßen von Jerusalem und griffen wahllos palästinensische Passanten an. Dutzende Menschen wurden festgenommen. Auch in Tel Aviv pilgerten hunderte Israelis vor das Verteidigungsministerium, wo das Kabinett über weitere Schritte beriet. Mit „Tod den Arabern“-Rufen heizten sie die ohnehin angespannte Stimmung weiter an.

Unmittelbar nachdem die Leichen gefunden worden waren, hat Premier Benjamin Netanjahu angekündigt, die islamistische Hamas, die er für den dreifachen Mord verantwortlich hält, „einen Preis“ dafür zahlen zu lassen. Noch scheinen die Minister unschlüssig über weitere Maßnahmen. Der Bau neuer Siedlungen steht zur Debatte, gezielte Angriffe auf Hamas-Funktionäre und sogar ein erneuter Einmarsch in den Gazastreifen.

Der Mord an dem palästinensischen Buben ließ Netanjahu zur Zurückhaltung aufrufen. „Israel ist ein Rechtsstaat“, sagte er. „Jeder ist verpflichtet, sich an die Gesetze zu halten.“ Noch am Morgen hatte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Israel für den Gewaltakt verantwortlich gemacht und appelliert, die Schuldigen ihrer „gerechten Strafe“ zuzuführen. Netanjahu ließ eine Untersuchung in die Wege leiten. Parallel dauert die Suche nach den Mördern der israelischen Teenager an. Gut 40 Palästinenser wurden in der Nacht verhaftet.

Zwei Hauptverdächtige

Mittlerweile gab die Polizei auch den Mitschnitt des Telefonats zur Veröffentlichung frei, in dem der entführte Gilad Schaer einer Beamtin die Worte „Ich bin entführt worden“ zuflüstert. Die Leitung des Mobiltelefons blieb für etwa zwei Minuten offen. „Nehmt die Köpfe runter“, ist einer der Entführer auf Hebräisch zu hören, dann mehrere Schüsse und anschließend freudiger Gesang der beiden Palästinenser. Die Nachrichtendienste konzentrieren die Suche auf Marwan Kawasme und Amar Abu Aysha aus Hebron. Die beiden Männer sind am Tag der Entführung untergetaucht und gelten als Hauptverdächtige.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2014)

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