Nach den Gefechten auf dem Flughafen kehrte in Tripolis zunächst Ruhe ein. Doch mehrere verfeindete Gruppen kämpfen weiter um die Vorherrschaft in der Hauptstadt.
Salah Wadi hat viele Feinde: rivalisierende Milizen, Anhänger des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi und „Kriminelle“ – wie er sagt. Vor einigen Tagen haben einige von diesen versucht, ihn zu töten. Sie warteten auf den Chef einer kleinen Gruppe von Milizionären vor seinem Haus im Westen der libyschen Hauptstadt Tripolis. Als Salah Wadi von dort mit seinem Auto wegfuhr, eröffneten sie das Feuer. Er duckte sich im letzten Moment und entging nur knapp dem Tod.
Einer von Salah Wadis Männern zeigt den dunklen Wagen, der im Hof des Milizen-Compounds steht. Genau auf Höhe des Fahrersitzes weist die Windschutzscheibe drei Einschüsse auf. „Ja, wir wissen genau, wer es war“, meint Salah Wadi kryptisch und streicht über seinen Bart. Mehr will er dazu nicht sagen.
Offensive gegen Zintan-Milizen
Zwischen Libyens bewaffneten Gruppen gibt es viele offene Rechnungen. Aus politischen, manchmal aus ideologischen, sehr oft aber aus rein machttaktischen Gründen. Und wenn diese Rechnungen beglichen werden, fließt Blut. So wie jetzt bei der Offensive, die eine Koalition aus Milizen aus Tripolis und Misrata gegen die verfeindeten Milizen der Stadt Zintan gestartet hat. Die Gefechte in Libyens Hauptstadt waren am Sonntagmorgen ausgebrochen. Bis am Sonntagnachmittag waren die Einschläge von Granaten zu hören gewesen. Am Montag blieb es zunächst ruhig. Die Kämpfe hatten sich vor allem auf das Gebiet rund um den Flughafen konzentriert, der seit dem Sturz Gaddafis vor drei Jahren von Milizen aus Zintan kontrolliert wird. Der Flughafen bleibt aus Sicherheitsgründen auch in den nächsten Tagen gesperrt.
Bei den Gefechten um den Flughafen wurden ebenso Häuser im westlichen Stadtteil Janzour schwer beschädigt. Gradraketen schlugen in mehreren Gebäuden ein, verletzt wurde aber niemand. Die Milizen aus Janzour sind schon seit Längerem Gegner der Zintan-Milizen. Die „Ritter von Janzour“, eine der mächtigsten von ihnen, waren bereits vor den Kämpfen am Sonntag immer wieder in Auseinandersetzungen mit den Zintanis verwickelt gewesen.
Der Compound von Salah Wadis Männern liegt nur unweit der Basis der „Ritter von Janzour“. Beide Gruppen arbeiten derzeit zusammen. Auf dem Gelände von Wadis Einheit stehen Pick-ups mit schweren Maschinengewehren auf den Ladeflächen. Die Kämpfer tragen Kalaschnikows, belgische FN-Sturmgewehre und alte russische MGs.
Selbst ernannte Ordnungshüter
Eine Handvoll Männer präpariert ein grau lackiertes, gepanzertes Fahrzeug auf den Einsatz vor. Solche Fahrzeuge verwendet die libysche Polizei. Aber die Milizionäre hier sehen sich auch als Polizisten. Kürzlich haben sie Dutzende Einwanderer aus Bangladesch festgenommen. „Wir sind insgesamt 73 Personen und seit vier Tagen hier“, erzählt Abdulhalim.
Er und die anderen Männer aus Bangladesch sitzen auf dem Boden eines großen Raumes im hinteren Teil der Basis. Das große Areal war einst ein Luxusanwesen der Familie Gaddafi. Ein leerer Swimmingpool im Hof zeugt noch immer davon. „Sie haben versprochen, uns bald freizulassen“, sagt Abdulhalim. „Wir machen hier auch keine Probleme. Wir sind nach Libyen gekommen, um zu arbeiten.“ Einer der Milizionäre versucht die Festnahme der Männer aus Bangladesch zu rechtfertigen: „Sie haben alle zusammen in einem Haus hier in der Nähe gewohnt. Das ist uns einfach verdächtig vorgekommen“, sagt er. „Wir wollen noch überprüfen, ob mit ihren Papieren alles in Ordnung ist. Dann können sie wieder gehen.“
Gefährdeter Abtrünniger
Salah Wadi behauptet jedenfalls, mit seinen Männern hier in der Gegend für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. „Rund um uns gibt es viele Verbrecher und viele Anhänger Gaddafis“, sagt er. Der Milizenchef stammt wie viele aus seiner Gruppe aus dem Ort al-Maya, gleich in der Nähe von Janzour.
Die meisten Bewohner von al-Maya waren immer loyal zu Machthaber Gaddafi gewesen. Sie nehmen deshalb Salah Wadi noch heute übel, dass er aus diesem Schema ausgebrochen ist und 2011 aufseiten der Aufständischen gekämpft hat. Und einige würden ihn dafür auch am liebsten töten.
LIBYENS REGIONALMILIZEN RINGEN UM VORHERRSCHAFT
Am Sonntag kam es zu heftigen Gefechten rund um den Flughafen der libyschen Hauptstadt Tripolis. Dabei wurden mindestens sechs Menschen getötet und 25 verletzt, wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte.
Bei der Offensive wurden die Zintan-Brigaden, die seit dem Sturz des langjährigen libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi vor mehr als drei Jahren den Flughafen kontrollieren, von verfeindeten Milizen angegriffen. Bewaffnete aus Misrata und Tripolis wollen den Einfluss der Zintanis zurückdrängen. Am Montag war es in der Hauptstadt wieder ruhig. Der Flugverkehr ist bis Mittwoch eingestellt.
In Libyen hat sich zuletzt die Sicherheitslage weiter verschlechtert. Vor allem im Osten Libyens gab es zuletzt heftige Kämpfe zwischen islamistischen Rebellen und selbst ernannten Sicherheitsmilizen. An den Parlamentswahlen nahmen nur wenige Wähler teil. Die UN hat wegen der prekären Lage ihr Personal reduziert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2014)