Radek Sikorski: „Russland führt einen Hybridkrieg“

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LUXEMBOURG EU GENERAL AFFAIRS AND EXTERNAL RELATION COUNCIL(c) EPA (Nicolas Bouvy)
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Polens Außenminister, Radek Sikorski, sieht dramatische Eskalation in der Ostukraine, hält bisherige EU-Sanktionen für unzureichend und den Empfang Putins in Wien für unsolidarisch.

Die Presse: Von allen EU-Außenministern verfolgen Sie die Vorgänge in der Ukraine am intensivsten. Sie waren gerade in Kiew. Kann es sein, dass der Ostukraine das Schlimmste noch bevorsteht?

Radek Sikorski: Die Situation ist dramatisch und eskaliert weiter. Es gibt jetzt Kampfpanzer und Schützenpanzer mit russischen Flaggen in Donezk. In der gesamten Ostukraine werden schwere Waffen benutzt, um Einheiten der ukrainischen Armee zu zerstören. Premier Jazenjuk sagte mir, dass tragbare Flugabwehrraketen an separatistische Gruppen geliefert und damit ukrainische Flugzeuge abgeschossen wurden.

Wer hat die Separatisten mit Panzern und schwerem Kampfgerät beliefert?

Die Russische Föderation. Das ist klar. Diese raffinierten Waffen kann man nicht in einem Geschäft kaufen, weder in Russland noch in der Ukraine. Konvois mit gepanzerten Fahrzeugen und Lastautos überqueren die russisch-ukrainische Grenze, um die sogenannten Separatisten zu versorgen, die von russischen Staatsbürgern befehligt werden.

Sie haben also keine Anzeichen, dass sich Russland kooperativer zeigt.

Russland hat in den vergangenen Wochen sein militärisches Engagement in der Ostukraine erhöht. Russland führt einen „Hybridkrieg“ mit ungewöhnlichen und verdeckten Mitteln, wie das die Nato nennt.

Was will Putin in der Ukraine?

Präsident Putin will aus Russland wieder eine Supermacht machen und auf Augenhöhe mit den USA und Europa bringen. Das institutionelle Vehikel dafür ist die Eurasische Union. Sein ursprünglicher Plan war es, die ganze Ukraine in die Union zu holen. Dafür war er bereit zu zahlen: mit großzügigen Krediten und niedrigeren Gaspreisen. Das klappte nicht, denn die ukrainischen Bürger sagten Nein und stürzten den Präsidenten (Viktor Janukowitsch, Anm.), der Putins Szenario folgen wollte. Seine zweite Idee war es, die Ukraine zu spalten und sich die Ostukraine durch regionale Putsche zu holen. Das scheiterte ebenso, proeuropäische Ukrainer haben die meisten Regionen verteidigt. Putins Plan Nummer drei ist es, das Gesicht zu wahren und einen neuen eingefrorenen Konflikt im postsowjetischen Raum zu schaffen.

Die bisherigen Sanktionen gegen Moskau haben offenbar nichts gebracht.

Unsere Sanktionen blieben bei jeder Weggabelung weit unter dem Minimum, das nötig gewesen wäre, um einen Effekt zu erzielen. Wenn die EU im August auf den russischen Handelsboykott gegen die Ukraine reagiert hätte, wäre Russland vielleicht nicht weitergegangen. Das ist das Problem bei einer multinationalen Quasiföderation mit einem komplizierten Entscheidungsprozess und sehr speziellen Interessen mancher Mitgliedstaaten.

Was also soll die EU tun?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Erstens kann man den Anschluss der Krim akzeptieren, und das Prinzip, dass größere Staaten die Grenzen kleinerer Staaten mit Gewalt ändern. Aber wenn wir das nicht akzeptieren, dann müssen wir Russland Kosten auferlegen, die zu einer Verhaltensänderung führen.

An welche Maßnahmen denken Sie?

Die EU und die USA haben Sanktionen angekündigt, die dazu führen werden, dass russische Firmen künftig weniger Chancen haben, Geldmittel im Westen zu beschaffen. Es soll auch einen Exportstopp für Energietechnologien geben. Hoffentlich überzeugt dies Putin, seinen Kurs zu ändern. Denn unser Ziel sollte es sein, Russland zu ermutigen, sich dem Westen wieder anzunähern.

Hindert die Energieabhängigkeit von Russland Europa an einer stärkeren Reaktion?

Europa ist nicht besonders abhängig von Russland. Es bezieht ungefähr ein Drittel seines Energiebedarfs von Russland.

Aber es gibt Länder, die höhergradig abhängig sind, auch Polen etwa...

Haben Sie gesehen, dass unsere Politik davon beeinflusst wird? Das Argument bringen jene vor, die keine Politik wollen, die den Namen Politik auch verdient. Russland braucht unser Geld weitaus mehr, als wir russisches Gas brauchen.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Wladimir Putin in Wien empfangen wurde?

Europäische Solidarität ist schwer aufrechtzuerhalten, denn Mitgliedsländer haben besondere Interessen.

Während Putins Aufenthalt in Wien unterzeichnete die OMV das South-Stream-Abkommen mit Gazprom...

Polen hat das Nabucco-Projekt unterstützt, das eine wahre Diversifizierung gebracht und Österreich zu einem Hub für Gas aus verschiedenen Quellen gemacht hätte, nicht bloß zu einem Verteiler von russischem Gas.

Ist Österreichs Verhalten unsolidarisch?

Viele europäische Länder haben wichtige Geschäftsbeziehungen zu Russland, auch Polen. Wenn man Sanktionen verhängt, ist das stets mit Opfern verbunden. Am Ende müssen wir alle beurteilen, an welchem Punkt politische Interessen wichtiger als wirtschaftliche werden. Militärische Aggression in Europa können wir nicht ignorieren.

Die EU sucht eine neue Hohe Repräsentantin für Außenpolitik, sollte sie auch eine neue Außenpolitik suchen?

Die Hohe Repräsentantin ist nur so stark wie die Unterstützung der Mitgliedstaaten. Ich würde gern mehr europäisches Engagement in der Ukraine-Krise sehen.

Sie vermittelten mit den Außenministern Deutschlands und Frankreichs im Februar Janukowitschs gescheitertes Abkommen mit der Opposition. Fühlen Sie sich manchmal verantwortlich für das Chaos?

Wir waren Zeugen eines Deals, den Janukowitsch mit der Opposition einging. Und der Deal stoppte das Blutbad auf dem Maidan. Dann brachen beide Seiten das Abkommen. Janukowitsch als Erster, denn er hätte die frühere Verfassung einsetzen müssen. Das lehnte er jedoch öffentlich ab. Dann erst setzte ihn das Parlament ab.

Unlängst wurde ein privates Gespräch veröffentlicht, in dem Sie warnen, sich in Sicherheitsfragen auf die USA zu verlassen...

Das war eine illegale Abhöroperation, die ich nicht mehr kommentieren möchte.

Wollen Sie mehr Nato-Präsenz in Polen?

Russlands Aggression gegen unseren Nachbarn macht uns Sorgen. Wir fühlen uns nicht mehr so sicher wie noch vor einem Jahr. Es gibt größere Nato-Stützpunkte in Ländern wie Deutschland oder Italien, die sicher sind. Also warum sollte die Nato die Flanke, die jetzt exponiert ist, nicht stärken?

Es heißt, Sie waren am Posten des Hohen EU-Repräsentanten interessiert. Hat der Abhörskandal Ihre Chancen gemindert?

Vergessen Sie's. Das waren Spekulationen. Es sieht danach aus, dass eine sozialistische Frau Hohe Repräsentantin wird. Und ich bin keines von beidem.

ZUR PERSON

Radosław Sikorski (geb. am 23.Februar 1963 in Bydgoszcz) ist seit dem 16.November 2007 Polens Außenminister. Davor hatte er vom Oktober 2005 bis Februar 2007 das Amt des Verteidigungsministers bekleidet. Sein Politkarriere startete er mit 29 Jahren als Vizeverteidigungsminister, von 1998 bis 2001 war er Vizeaußenminister. Danach legte der Liberal-Konservative eine Pause im American Enterprise Institute in Washington ein.

Sikorski studierte Philosophie und Politologie in Oxford. Beruflich fasste er zunächst im Journalismus Fuß. Von 1986 bis 1989 schrieb er als Auslandskorrespondent für den „Spectator“ und den „Observer“, unter anderem aus Afghanistan. Seine Frau, Anne Applebaum, lernte er nach dem Fall der Berliner Mauer kennen. Sie arbeitete damals für die „Washington Post“. Heute ist sie Historikerin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

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