„Oratorium ohne Worte“: Was Harnoncourt mit Mozart macht

(c) ORF (styriarte/Werner Kmetitsch)
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Im Rahmen der „Ouverture spirituelle“ dirigiert Nikolaus Harnoncourt am Montag im Salzburger Haus für Mozart – wie schon zuvor bei der Grazer Styriarte – Mozarts letzte drei Symphonien.

Mozarts drei letzte Symphonien – sie ergeben ein langes, aber dank der Unterschiedlichkeit der drei Werke höchst aufregendes Konzertprogramm. Bei den Salzburger Festspielen haben Dirigenten wie Karl Böhm und Lorin Maazel solche Mozart-Dreisprünge gewagt. Auch Nikolaus Harnoncourt hat zum Mozartjahr 2006 die Trilogie mit den Wiener Philharmonikern aufgeführt.

Diesmal dirigiert der Altmeister der Originalklangbewegung dasselbe Programm – aber doch ein wenig anders. Als Teil der Eröffnungswoche mit „geistlicher Musik“ wiederholt er den Zyklus der drei Mozart-Werke, wie er ihn vor zwei Wochen im Grazer Stefaniensaal bei der Styriarte vorgestellt hat: nicht mit großem romantischen Orchester, sondern mit seinem Concentus musicus.

Dass dieses Konzert zum von Intendant Alexander Pereira lancierten religiösen Auftakt der Festspiele gehört, wird auf den ersten Blick niemand einsehen wollen. Und doch: Harnoncourt ist der Überzeugung, dass sich die drei Symphonien neben Werken wie Haydns „Schöpfung“ oder dem Requiem von Max Reger ganz richtig ausnehmen werden – sie seien nämlich keineswegs als einzelne symphonische Werke konzipiert, sondern als eine Art „Oratorium ohne Worte“.

Diese Überzeugung sei in ihm, so Harnoncourt, über die Jahrzehnte seiner Beschäftigung mit Mozarts Schaffen gewachsen und längst „viel mehr als eine Hypothese“. Die Zusammengehörigkeit der drei Werke betont Harnoncourt, wie in Graz bereits zu hören war, durch vielfältige interpretatorische Maßnahmen, die Beziehungen deutlich werden lassen; und etwa die g-Moll-Symphonie (KV 550) nahtlos aus der Es-Dur-Symphonie (KV 543) herauswachsen lassen. Pausenlos bilden die beiden Stücke den ersten Teil des „Oratorienabends“.

Spannend zu verfolgen ist Harnoncourts Tempodramaturgie, die oft verblüffende Übereinstimmungen des musikalischen Pulses zwischen einzelnen Sätzen herstellt; und damit des Öfteren weitaus raschere Tempi anschlägt, als die Aufführungstradition wahrhaben will. So erklingt die langsame Einleitung zur Es-Dur-Symphonie weitaus zügiger, als man sie zu hören gewohnt ist.

Harnoncourt ist der Überzeugung, dass diese Introduktion den Auftakt für das dreiteilige Gesamtwerk bildet – tatsächlich ist KV 543 die einzige der drei Symphonien, die mit einer langsamen Einleitung beginnt; der erste Satz hat die Form der französischen Opernouverture, wie sie auch bei barocken Oratorien gern verwendet wird.

Perpetuum-mobile-Effekt

Das Finale führt insofern ins folgende Stück, als es wie ein Perpetuum mobile angelegt ist und, so der Dirigent, „keinen Schluss hat“. Konsequenterweise wiederholt der Concentus musicus alle Symphonieteile, für die Mozart die Wiederholung vorgesehen hat, also auch den zweiten Abschnitt des Es-Dur-Finales; womit sich der Perpetuum-mobile-Effekt verstärkt. Selbstverständlich werden auch alle entsprechenden Abschnitte in den langsamen Sätzen und vor allem der zweite Teil des Fugen-Finales der Jupitersymphonie wiederholt. Letzter gewinnt dadurch eminentes Gewicht – und der Hörer hat Zeit, die unglaublichen kontrapunktischen Kapriolen, die der Komponist sich (und seinen Hörern) hier gönnt, ausgiebig zu bestaunen.

Geradezu herausgemeißelt werden die expressiven Momente der g-Moll-Symphonie, deren Andante dank der ungemein zügigen Gangart beinah wie eine unmittelbare Weiterführung des pulsierenden Eingangs-Allegros anmutet – dort zerreißt der Dirigent hie und da sogar die Strukturen, indem er willkürlich jähe Temposchnitte setzt: Der berühmte, quasi „zwölftonige“ Beginn des Durchführungsteils erscheint wie ein immer wieder abreißender und wieder anhebender energetischer Prozess; zu diesem Zeitpunkt ist es für das Publikum wohl längst keine Frage mehr, ob diese Gangart „gefällt“ oder „verstört“, wie dann gern geschrieben wird. Sie zwingt zur Auseinandersetzung, die live am 21. Juli im Salzburger Haus für Mozart gesucht werden kann und ab sofort auch daheim: Die Produktion ist soeben bei Sony Classical auf zwei CDs erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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