Essstörung: "Männer genieren sich mehr"

Essstörung
EssstörungMichaela Bruckberger
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Bernhard Wappis überwand die Magersucht erst durch eine Psychotherapie.

Hatten Sie in Ihrer Krankheitsperiode wirklich nur noch 46 Kilo?

Bernhard Wappis: Zeitweise. Ich war ein molliges Kind und wurde schon in der Schulzeit wegen meines Übergewichts gehänselt, Schokolade und Wurstsemmeln waren damals meine Seelentröster. Als Teenager fing ich dann an abzunehmen, und mit jedem verlorenen Kilo wuchs mein Selbstwert. Ich habe geglaubt, ich werde so mehr geliebt. Es gab nur noch Magerjoghurt und Äpfel und täglich exzessiven Sport, manchmal bis zum Umfallen.

Wie lang ging das?

Über zehn Jahre. Allerdings blieb es nicht bei der Magersucht, später kamen Ess-Brech-Attacken dazu. Bei so einem Anfall habe ich mehrere tausend Kilokalorien in mich hineingestopft.

Wie ging es Ihnen damit?

Ich habe eine grausame, innere Leere empfunden und habe mich geschämt und heimlich gelitten.

Wann kam die Wende?

Vor mehr als zehn Jahren. Während meines Psychologiestudiums hatte ich Zeit, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Meine damalige Freundin tat ihr Übriges, ich begann eine Psychotherapie. Ohne professionelle Hilfe wäre ich davon sicher nicht losgekommen.

Und heute?

Ich bin symptomfrei, leide also weder an Anorexie noch an Bulimie. Was mir allerdings geblieben ist, ist mein Hang zum Perfektionismus und eine gewisse Zwanghaftigkeit.

Was raten Sie betroffenen Männern?

Männer fällt es besonders schwer, eine Essstörung zuzugeben, denn Anorexie und Bulimie gelten als Frauenkrankheit – da genieren sich Männer noch einmal mehr, Hilfe zu suchen. Im Grunde genommen zeigt Stärke, wer Hilfe annimmt. Ich habe Hilfe in Anspruch genommen, mein Leben ist heute viel lebenswerter, viel freier.

Der 38-jährige Villacher Psychologe Bernhard Wappis ist einer der wenigen Männer Österreichs, der seine ehemaligen Essstörungen offen zugibt und sogar ein Buch darüber geschrieben hat: „Darüber spricht man(n) nicht. Magersucht und Bulimie bei Männern“, 284 Seiten, 18,90 €, Books on Demand. Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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