Frankreichs Westen II: Im Meerwassersprudelbad

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Seit 50 Jahren aalen sich glamouröse und gesundheitsbewusste Urlauber an der Südspitze der bretonischen Halbinsel Quiberon im Salzwasser.

Nachts donnern die Wellen ans Ufer. Wind pfeift ums Haus. Die zerklüftete, oft neblige Küste der Bretagne ist für Kapitäne auch im 21. Jahrhundert kein Ort der Langeweile. Am Morgen ist der Himmel blau, die Ebbe hat die Plage de Goviro voller Tang zurückgelassen. Drachen wirbeln durch die Luft. Bei dem Ausblick ist es schwer, nicht sofort nach draußen zu laufen, wo die Luft nach Salz riecht, weiße Häuschen sich zwischen Dünen ducken und eine Pinie daran erinnert, dass es in der südlichen Bretagne trotz tobender Stürme selten wirklich kalt wird.

Doch viele Gäste ruft ein frühes Bad der Therapie in das Thalassozentrum. Wer erst mittags ins Wasser muss, spaziert über die nach dem Radrennsportler Louison Bobet benannte Promenade und atmet jodhaltige Seeluft. Bobet (1925–83) war dreimaliger Tour-de-France-Sieger, als ein Autounfall seine Karriere 1961 beendete. Als er das Krankenhaus verlassen konnte, verkroch er sich für Wochen zum Thalasso in Roscoff in der Bretagne. Warme Meerwasserbäder, entgiftende Algenpackungen, Massagen und Gymnastik im Meerwasser, wie sie schon im Altertum empfohlen wurden, wirkten: Langsam fand Bobet ins Leben zurück. Dass es mit dem Radeln vorbei war, war ihm klar. So beschloss er, zusammen mit seinem Bruder, der mit ihm im Unfallauto gesessen hatte, ein Zentrum für Thalassotherapie aufzubauen.

Wilde Küste

Auf der Suche nach einem Standort erhielt er von der seit 1924 als Luftkurort anerkannten Stadt Quiberon ein Angebot: 1964 eröffnete er sein Institut an der Südspitze der Halbinsel, die teilweise nur 25 Meter schmal und vierzehn Kilometer lang ins Meer ragt. An der Côte Sauvage genannten Westseite ist sie Wind und Wellen ausgesetzt, an der Ostseite ruhig und mit flach abfallenden Stränden. 2000 Sonnenstunden im Jahr machen sie zu einem beliebten Urlaubsziel, die Reisegewohnheiten der Grande Nation sorgen dafür, dass die Bevölkerungszahl im August auf 100.000 anschwillt. Nur dreieinhalb Eisenbahnstunden trennen Paris und den Bahnhof Auray. Das Thalassozentrum selbst liegt drei Kilometer von den Belle-Époque-Villen, den Geschäften und Crêperien entfernt am dünn besiedelten Ende der Landzunge. Längst steht die Spitze unter Naturschutz. Heute könnte kein Tour-de-France-Sieger hier auch nur einen Fahrradschuppen bauen.

Klein begonnen, heute Kette

Mit sieben Behandlungsräumen und einem kleinen Pool fing Bobet, der schließlich eine ganze Kette an der Atlantikküste eröffnete, klein an. Aber die Gäste aus Paris mussten auch irgendwo übernachten. Also eröffnete er ein Hotel. Er kannte viele Prominente, die begeistert waren vom Kuren im weltabgeschiedenen Süden der Bretagne – Romy Schneider, Johnny Hallyday, Gérard Dépardieu. 1974 öffnete das zweite Haus, das mit dem ersten verbunden ist: das Diététique, dessen Klientel vor allem aus vom Wohlleben gezeichneten Parisern besteht. Französische Politiker checken hier ein, sie legen beim Abspecken Wert auf Diskretion.

Patrick Jarno, der bretonische Küchenchef dieses Flügels, macht den Gästen seit 36 Jahren kalorienarme Kost schmackhaft. Dazu hatte er die Speisen um Butter und Crème Fraîche reduziert, ohne ihnen Geschmack zu rauben. Auf der Karte stehen zudem Kalorienangaben statt Preise. Wer trotzdem orientierungslos ist, dem bieten die wie zufällig im Restaurant anwesenden Diätassistentinnen Trost und Rat. Dennoch: Besser schmeckt es im Thalasso-Flügel am anderen Ende des Komplexes. Hierher kommen auch Gäste, die nur ein Wochenende vertrödeln und zwischen Planschen und Spazieren gut essen wollen. Schon beim Frühstück kann man hier mit Crêpes und dem gefährlichen bretonischen Butterkuchen Kouign Amann, gesalzener Butter und schwerem Käse auf angenehme Weise eine Menge Fehler machen.

Thalassa ist das altgriechische Wort für Meer. Denn schon in der Antike glaubte man an die heilende Kraft von Wasser, Algen, Schlick, Sand, Seeluft. Im frühen 19. Jahrhundert erlebte die vergessene Kurform an der französischen Atlantikküste eine Renaissance. Seither hat sich aus den frei verfügbaren Schätzen der bretonischen Küsten im Verein mit Hightech und Betreuung durch Mediziner und Therapeuten eine Industrie entwickelt, die aufgrund ihrer Kostenintensität in luxuriösen Hotels ihr Habitat gefunden hat.

Drei Anwendungen am Tag

Weil der Übergang von medizinisch angeordneter Therapie zur gesundheitsförderlichen Urlaubsauszeit fast unmerklich verläuft, ist von nüchtern gefliestem Kurwesen hier wenig zu spüren. Kur- und Hotelgäste hüllen sich in flauschige Bademäntel, lauschen bei der Massage Musik und schmiegen sich abends in dicke Daunendecken, die vergessen lassen, dass der Wind weit weniger wild ist, als er klingt.

Mit 2800 Küstenkilometern ist die Bretagne für die Meerwasseranwendung schon geografisch prädestiniert. Denn Thalassotherapie, die den Namen verdient, muss unmittelbar hinter dem Spülsaum stattfinden, damit der Kurgast dem gesundheitsförderlichen Meeresklima rund um die Uhr ausgesetzt ist. Zudem sorgen extreme Gezeitenunterschiede ebenso wie heftige Herbststürme für recht sauberes Wasser – das ist nicht nur wichtig für die Qualität der Austern, die hier tatsächlich besonders wohlschmeckend sind. Frisches, nicht behandeltes Meerwasser ist auch die Grundlage jeder Thalassotherapie. Weil dieser Begriff nicht geschützt ist, haben sich die ernsthaften Betriebe in regionalen Verbänden, hier Thalasso Bretagne, organisiert. Denn wer sich auf den Malediven im Spa von einer Vichy-Dusche berieseln lässt, erlebt nur einen fernen Nachklang der echten Thalassotherapie, die drei Anwendungen mit Meerwasserprodukten pro Tag über eine Woche vorsieht.

Drainage mit Meerwasser

Dass sie bei den unterschiedlichsten Wehwehchen positiv wirkt – von Rheuma bis hin zur Reha nach Unfällen – ist heute unumstritten. Dass auch, wer nur entspannen möchte, sich im auf 34 Grad erwärmten Meerwasser gut aufgehoben fühlt, kann jeder gesunde Urlauber nachprüfen. Mit dem persönlichen Zeitplan in der Bademanteltasche wandert der Gast durch lange Gänge von Termin zu Termin. Und irgendwann kommt er an der Kabine für Meerwasserdrainage vorbei. In der Badewanne wird dem Gast mit einer Art Gartenschlauch zu Leibe gerückt, der Wasserstrahl fördert den Kreislauf und wirkt entschlackend. Fünfundzwanzig Minuten ruht er im laut blubbernden Wasser, während der Therapeut seine Manöver ausführt, dann geht es zur nächsten Anwendung. Hat der Gast sein Soll an Bädern und Packungen erfüllt oder hegt er keine ernsthaften Kurabsichten, bietet die Fassadenpflege oder eine Fitnesseinheit eine weitere Möglichkeit der Urlaubsgestaltung. Aber idealerweise ist man viel draußen: In der Bucht vor dem Hotel beweisen einige, dass der Atlantik nicht nur im Hochsommer direkten Kontakt unter freiem Himmel erlaubt. Unerschrocken springen sie in die Wogen. Es ist Thalassotherapie im besten Sinn. Louison Bobet wäre zufrieden.

TIPPS FÜR QUIBERON

Übernachten. Sofitel Quiberon Thalassa Sea & Spa: 129 Zimmer, 2000 m2 großer Fitness- und Entspannungsbereich mit beheiztem Meerwasserschwimmbecken, Whirlpool, Sauna, Hammam und Fitnessraum. www.sofitel-quiberon-thalassa.com. Angeschlossen ist das Sofitel Quiberon Diététique. Für Gäste, die ernsthaft abnehmen wollen.

Lektüre. „Bretagne“ von Marcus X. Schmid, Michael Müller-Verlag

Info: Atout France, www.rendezvousenfrance.com.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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