Der 28-jährige Militärkommandeur Omar al-Schischani, ein wegen seiner Brutalität gefürchteter Tschetschene, macht Karriere.
Sein unverwechselbarer, feuerroter Bart geistert durch ganz Syrien. Gestern will man ihn noch als Anführer bei einer Offensive des Islamischen Staat (IS) in der Nähe Aleppos beobachtet haben. Am nächsten Tag leitet er einen geheimen Gefangenentransport Hunderte von Kilometern entfernt, nahe der irakischen Grenze. Gleichzeitig inspiziert er jedoch einige der von IS im Irak erbeuteten US-Humvees, wie Fotos zeigen.
Omar al-Schischani ist wie ein Gespenst. Um den erst 28-jährigen tschetschenischen Militärkommandeur ranken sich erste Mythen. Er ist eine beliebte Figur unter den Kämpfern der Terrorgruppe. Schischani leitete einige Operationen, die zur Einnahme von Militärbasen der syrischen Armee im Norden Syriens führten. Zuletzt soll er für die Eroberung der Grenzstreifen zum Irak verantwortlich sein, die dem IS ungehinderten Zugang ins Nachbarland sicherte. Er gehört darüber hinaus zu jenen Männern, die in einem Video der Extremistengruppe auftraten, als sie die Grenzen zwischen Syrien und Irak für null und nichtig erklärten. Schischani könnte zum obersten Militärkommandeur der IS ernannt werden. Der Posten ist derzeit vakant.
Schischani ist bekannt für seine Brutalität und seinen Radikalismus. In einem Interview mit einer australischen Radiostation lobte er Khaled Sharrouf, der seinen Sohn mit einem abgeschnittenen Kopf in der Hand fotografierte. „Khaled ist ein großartiger Mann, den man nur lieben kann“, sagte er. Gleichzeitig begrüßte er die Luftangriffe der USA. US-Präsident Barack Obama hatte sie angeordnet, um den Vormarsch des IS auf Erbil, die Hauptstadt der autonomen Kurdenregion, zu stoppen. Denn die Intervention der USA habe die Motivation der IS-Kämpfer gesteigert, behauptete Schischani. Sie würde noch mehr Muslime aus der ganzen Welt dazu bringen, in den Irak und nach Syrien zu den Jihadisten zu kommen. „In unseren Reihen sind bereits über 3000 Kämpfer aus dem Westen – und täglich werden es mehr.“
6000 neue IS-Rekruten im Juli
Es ist eine Entwicklung, die diese Woche von Rami Abdel Rahman, dem Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London, bestätigt wurde. „Im Juli gab es mit 6000 neuen Kämpfern die größte Rekrutierungswelle, seit die Gruppe 2013 in Syrien aufgetreten ist.“ Damit sei die Zahl von 50.000 IS-Soldaten in Syrien überschritten worden. Über 12.000 davon stammten aus dem Ausland. Von den 6000 neuen Rekruten im Juli kämen mehr als 1000 Kämpfer aus Tschetschenien, China, Europa und aus arabischen Ländern. Nach Syrien seien die meisten über die Türkei eingereist. Von rivalisierenden Rebellengruppen, wie etwa der al-Qaida-Ableger, Jabhat al-Nusra, wären rund 200 Männer zu IS gewechselt.
Schischani war im März 2012 nach Syrien gekommen und führte eine „Armee der Ausländer“ an. Die meisten davon stammten aus Tschetschenien und anderen osteuropäischen Ländern. Sie waren bei entscheidenden Schlachten beteiligt. Ein Teil dieser Ausländerarmee gehörte zu denen, die Enthauptungen durchführten und auch sonst für brutales Vorgehen bekannt waren.
Im Winter brachen die Feindseligkeiten zwischen dem IS und dem Rest der Opposition offen aus. Schischani entschied sich für den IS und legte den Treueschwur gegenüber Bagdadi ab. Beim Islamischen Staat machte er Karriere, und mit ihm stiegen seine Landsleute auf, die ihm gefolgt waren. Die anderen Tschetschenen schlugen sich auf Seiten der moderateren Opposition.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2014)