Nach dem Angriff auf eine Moschee in Bagdad zog sich der sunnitische Parlamentspräsident aus den Regierungsverhandlungen zurück.
Der Angriff auf eine Moschee mit Dutzenden Toten erschwert die Regierungsbildung im krisengeschüttelten Irak. Die Nachrichtenseite Al-Sumaria News berichtete, die Partei des sunnitischen Parlamentspräsidenten Salim al-Jaburi habe sich aus Protest gegen die Attacke aus den Verhandlungen zurückgezogen. Eine neue Regierung gilt als Voraussetzung, um den Vormarsch der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) in dem Land stoppen zu können.
Bei dem Angriff von vermutlich schiitischen Bewaffneten auf eine sunnitische Moschee nordöstlich von Bagdad waren am Freitag mindestens 73 Menschen ums Leben gekommen. Augenzeugen berichteten, die Angreifer hätten das Gebetshaus in der Stadt Al-Mikdadiya gestürmt und um sich geschossen. Laut Nachrichtensender Al-Arabiya waren die Täter schiitische Milizionäre. Das Staatsfernsehen hingegen berichtete, der IS stecke hinter der Tat. Der Sender berief sich auf Sicherheitskreise in der Stadt Bakuba. Die Terrorgruppe verfolge mit dem Angriff "sektiererische Ziele", hieß es.
Die Angst vor dem Bürgerkrieg
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte die Attacke. "Der Generalsekretär ist tief besorgt über die Auswirkungen solcher religiöser Gewalt auf die ohnehin schwierige Sicherheitslage", teilte ein Sprecher mit. Der designierte irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi rief seine Landsleute zum Zusammenhalt auf, damit die Feinde des Landes keine Chance hätten, einen Bürgerkrieg auszulösen.
Iraks Präsident Fouad Masoum hatte den Schiiten Al-Abadi vor rund zwei Wochen mit der Regierungsbildung beauftragt. Sein Vorgänger Nuri al-Maliki galt als Hemmnis, Schiiten, Sunniten und Kurden miteinander zu versöhnen. Diese hatten seit der Parlamentswahl im April um die Besetzung des Amtes des Regierungschefs gestritten.
IS-Extremisten nutzen das Machtvakuum
IS-Milizen hatten - mit Unterstützung sunnitischer Stämme - dieses Machtvakuum ausgenutzt. Nach ihrem Vormarsch in Syrien brachten sie auch große Teile des Iraks unter ihre Kontrolle. Dabei gingen die Extremisten äußerst brutal vor. Die USA hatten Anfang August im Nordirak mit Luftangriffen auf die Terrorgruppe begonnen, nachdem die Miliz immer näher an die kurdischen Autonomiegebiete herangerückt war.
Die Ermordung des US-Journalisten James Foley durch IS-Mitglieder in Syrien bezeichnete die Regierung in Washington nun als "Angriff auf unser Land". Die USA schließen inzwischen Luftangriffe auf IS-Stellungen auch in Syrien nicht mehr aus. "Wenn Ihr Amerikaner angreift, greifen wir Euch an, wo immer Ihr Euch befindet", sagte Ben Rhodes, stellvertretender nationaler Sicherheitsberater, am Freitag. Foley war Anfang der Woche von den Extremisten enthauptet worden.
Die deutsche "Bild"-Zeitung (Samstag) berichtete unter Berufung auf Sicherheitskreise, den IS-Extremisten hätten sich inzwischen rund 2600 junge Muslime aus ganz Europa angeschlossen. Insgesamt habe die Gruppe rund 20.000 "überwiegend gut ausgebildete Kämpfer unter Waffen", zitierte die Zeitung aus einem vertraulichen Lagebild der Sicherheitsbehörden.
Kindersterben unter Flüchtlingen
Wer unter den Kämpfen am meisten leidet, ist die zivile Bevölkerung. Viele Kleinkinder unter den von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfolgten Flüchtlingen im Nordirak sind nach Aussage eines deutschen Arztes schwer krank und akut vom Tode bedroht. "Pro Tag sterben etwa 20 Kinder", sagte der aus Hannover stammende Mediziner Hüseyin Bektas.
Der Chirurg der Medizinischen Hochschule Hannover leistet mit einer Gruppe vom Verband Kurdischer Ärzte in Deutschland humanitäre Hilfe in der Stadt Sacho nahe der Grenze zur Türkei. Der Ort sei erste Anlaufstelle für die Flüchtlinge gewesen und beherbergt nach Bektas' Angaben noch 190.000 von ihnen.
Bei Temperaturen um die 45 Grad Celsius leiden nach seinen Schilderungen vor allem Kleinkinder an Auszehrung. "In Deutschland würde ich 70 Prozent der Kinder sofort auf die Intensivstation schicken." Viele Kinder hätten schwerste Durchfallerkrankungen oder Lungenentzündungen. Die Ärzte kämpften zudem mit einer hohen Zahl an Patienten - auf einen Arzt kämen pro Tag 300 Patienten. "Jeder zweite Patient ist ein Kind", sagte Bektas: "Und vor allem die Kleinkinder von eins bis drei, vier Jahren - die haben echte Probleme."
(APA/dpa)