Ferguson: Die medialen Brandbeschleuniger

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Um Quoten, Klicks und Ruhm eifernd heizen Journalisten einen komplexen Konflikt auf. Zweifellos waren die Arbeitsbedingungen für die Medienvertreter nicht einfach.

Ferguson, US-Bundesstaat Missouri, zehn Tage nach der Erschießung des schwarzen Jugendlichen Michael Brown durch den weißen Polizisten Darren Wilson: Ein Punker – weiß, Mitte vierzig, standesgemäß verlebt – posiert vor dem Barbecue-Lokal Red's BBQ vor der Kamera eines Fotoreporters. Das Lokal wurde während der Demonstrationen gegen die Polizeiwillkür in Ferguson von Plünderern in Brand gesetzt. Die mit Spanplatten vernagelten Fensteröffnungen sind mit den Worten „We will be back!“ verziert. Begeistert treibt der Fotograf den Punker dazu an, mehrere Posen einzunehmen – allen voran jene mit erhobenen Händen, die man mittlerweile auf der ganzen Welt mit den Protesten von Ferguson verbindet. Dann legt sich der Punker auf Geheiß des Reporters auf den Boden, nach der Art eines Erschossenen. Um die Ecke, zu Fuß keine zwei Minuten entfernt, ist Michael Brown zehn Tage zuvor gestorben. Der Fotograf ist hocherfreut. Hastig klickt seine Kamera.

Reporter schämen sich für Reporter

Das Verhalten einiger Medienvertreter in Ferguson wurde in diesen sommerlich schwülen Tagen umso bedenklicher, je weniger es zu berichten gab. Die letzte wirklich brenzlige Konfrontation zwischen der Polizei und den Demonstranten fand in der Nacht auf Mittwoch statt. Am Ende eines friedlich verlaufenen Protests warf irgendjemand aus der Menge eine volle Plastikwasserflasche auf die Beamten. Ein Tumult entstand, sechs Leute wurden verhaftet, eine Frau bekam Pfefferspray ins Gesicht, und ein Polizist schaffte es auf fast alle Fernsehkanäle, weil er sein Gewehr auf einen Kameramann anlegte und „I will fucking kill you!“ brüllte, ehe ihn ein Kollege wegzog.

Danach verliefen die Proteste im Sand; Ausschreitungen gab es nicht mehr. Episoden wie die von der „Presse“ beobachtete mit dem posierenden Punker belegen die Verzweiflung, mit der man mancherorts versucht, aus einem Nichtgeschehen eine Story zu konstruieren. Doch schon zuvor, als es krachte, die Polizei Journalisten verhaftete und Tränengas, Schallkanonen sowie Gummigeschosse einsetzte und Kriminelle auf die Beamten schossen, schien einigen Journalisten das Bewusstsein für ihre Rolle verloren gegangen zu sein.

„Ich befürchte, dass die ethischen und vorsichtigen Journalisten Ferguson verlassen, weil die Arschlöcher angekommen sind“, machte Quinn Norton, ein freier Journalist, der für die Magazine „Slate“ und „The Atlantic“ schreibt, auf Twitter seinem Unmut Luft. „Das Verhalten der Journalisten dort ist so entsetzlich, dass ich nicht guten Gewissens weiterhin Teil dieses Spektakels sein kann“, begründete Ryan L. Schuessler, der für „Al Jazeera America“ in Ferguson arbeitete, am Donnerstag seine Abreise. „Ich habe das Gefühl, dass viele von ihnen glauben, dass das hier ihre Karriere voranbringt.“

Journalisten missachten Trauernde

Schuessler berichtet unter anderem von einem Reporter, der ihm sagte, er sei zum beruflichen Networking nach Ferguson gekommen. Später habe er ihn gebeten, ein Foto von ihm mit Anderson Cooper aufzunehmen, der journalistischen Allzweckwaffe des US-Senders CNN. Kameraleute hätten Bürger von Ferguson angeschrien, sie sollten zur Seite treten und Platz für die Kameras machen. Andere Fernsehteams hätten am Todesort von Michael Brown gescherzt und getratscht, während Anwohner dort beteten und Andacht hielten.

Zweifellos waren die Arbeitsbedingungen für die Medienvertreter nicht einfach. Die Polizisten waren offensichtlich komplett überfordert und im zivilisierten Umgang mit Menschenmassen ebenso wenig geschult wie im Verhalten gegenüber Journalisten. Auch „Die Presse“, die von Dienstag bis Donnerstag vergangener Woche aus Ferguson berichtete, hatte mit einigen ziemlich rüden Beamten zu tun. Während eines Straßeninterviews mit einer Frau, die gewaltlos gegen die Einschränkung ihres Grundrechts auf Meinungsäußerung demonstriert und nach fünf Stunden auf den Beinen ermüdet den Heimweg angetreten hatte, befahl ein Polizeibeamter mehrfach, weiterzugehen. Die Ratio dahinter: Wer stehen bleibt und damit etwaigen Krawallmachern die Möglichkeit gibt, sich in der Menge friedlicher Demonstranten zu verstecken, wird nach mehrfacher Ermahnung verhaftet.

Man kann darauf so oder so reagieren: Entweder man fängt eine Diskussion mit einem übermüdeten und gereizten Polizisten an, die man erstens ohnehin nicht gewinnen kann und die einen zweitens im schlimmsten Fall in eine Polizeizelle bringt, woraufhin man seiner Aufgabe als Berichterstatter nicht mehr nachgehen kann. Oder man fügt sich, geht weiter und führt, mühselig in den Notizblock kritzelnd, mit einer starken Frau ein interessantes Gespräch über Rassismus und das Versagen der politischen Instanzen in Missouri.

Doch angesichts des Drucks, möglichst viele Klicks im Internet zu erzielen oder mit einem besonders krassen Video auf CNN, MSNBC oder Fox News zu landen, heizten etliche Reporter einen komplexen Konflikt, in dem es um kommunalpolitisches Versagen und das gegenseitige Misstrauen zwischen Schwarzen und Weißen geht, künstlich an. Die erwähnte Episode mit dem Polizisten, der auf einen Kameramann zielte, illustriert das: Statt den schwer gestressten Beamten zu beruhigen und davon abzubringen, gar wirklich zu schießen, provozierte ihn der Reporter, der für ein obskures Internetmedium namens Youngist.org tätig war. „Das war sehr, sehr verantwortungslos“, sagte ein langjähriger Kameramann von CBS tags darauf im Gespräch mit der „Presse“. „Wenn einer mit der Waffe auf mich zielt, mache ich keine dummen Spielchen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2014)

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