Christo: "Unsere Projekte sind völlig unnötig"

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Mit Banken hat der Verhüllungskünstler Christo Vladimirov Javacheff bessere Erfahrungen gemacht als mit Museen und Kunstsammlern. Er hält seine Projekte für unnötig, aber schön, und will sich nicht dreinreden lassen.

Christo: Ich möchte gleich vorweg eines anmerken: Ich rede nicht über Politik, Religion oder über andere Künstler.

Die Presse: Sprechen Sie über Geld?

Kein Problem, darüber rede ich gern.

Wie viel Zeit und Energie wenden Sie während Ihrer Kunstprojekte mit Gedanken über Geld und Finanzierung auf?

Das sind wichtige Überlegungen. All meine Projekte werden von einem ganz normalen Unternehmen umgesetzt. Das sind keine Non-Profit-Organisationen. Es handelt sich um unsere Holding CVJ Corporation. CVJ, das sind meine Initialen: Christo Vladimirov Javacheff. Sitz des Unternehmens sind die Vereinigten Staaten, konkret New York in Delaware. Für jedes Projekt – egal, ob in den USA oder im Ausland – gründen wir eine Tochterfirma. Da gab es etwa die Reichstag-Corporation in Berlin oder die Umbrella-Corporation in Japan. Die aktuellen Projekte werden von der Over-the-River-Corporation in Colorado und von der Mastaba-Corporation in Abu Dhabi geleitet.

Wie finanzieren sich all diese Firmen?

Die Unternehmen tragen die Kosten für die einzelnen Projekte. Die Finanzierung erfolgt durch den Verkauf von meinen Kunstwerken. Und der Verkauf wird nicht über Händler abgewickelt. Denn Sammler, Museen oder Kunsthändler sind notorisch schlechte Zahler. Wir können unseren Mitarbeitern nicht sagen, dass wir ihre Löhne nicht zahlen können, weil Herr Smith uns das Geld schuldig geblieben ist. Deshalb arbeiten Jeanne-Claude und ich mit Banken zusammen.

Banken sind Ihnen also lieber als Kunstsammler und Museen?

Ja, wir haben gute Erfahrungen gemacht. Das Reichstags-Projekt kam in Kooperation mit der Deutschen Bank zustande. Bei „The Gates“ war Credit Suisse unser Partner, übrigens auch bei den laufenden Projekten „Over the River“ und „Mastaba“. Credit Suisse glaubt an unsere Projekte, obwohl wir ihnen keine Aktien oder Immobilien als Sicherheiten anbieten können. Wir haben nur unsere Kunst.

Ihre Kunst ist eigentlich klassisches Unternehmertum.

Nach unserem „The Gates“-Projekt erhielten wir einen Anruf von der Harvard Business School. Sie wollten uns für eine Fallstudie haben. Die machten solche Studien auch über Steve Jobs und Bill Gates. Die wollten wissen, wie wir funktionieren, wie die Geldflüsse funktionieren. Die haben auch unsere Banken interviewt. Das Ergebnis der Untersuchung lautete: Das, was wir machen, ist purer Kapitalismus.

Es heißt, Sie mögen keine staatlichen Subventionen?

Das ist keine Frage des Mögens. All diese Projekte sind unsere Babys. Da kann uns keiner sagen, was wir zu tun haben. Da gibt es keine Kompromisse. Manchmal machen wir Fehler, manchmal haben wir Probleme. Aber dann sind es unsere Fehler gewesen. Wir wollen die ganze Kontrolle über unsere Projekte. Und wissen Sie, warum? Weil all diese Projekte völlig unnötig sind. Absolut unwichtig. Die Welt kann gut ohne „Valley Curtain“ oder „The Gates“ leben. Niemand braucht diese Projekte. Nur Jeanne-Claude und ich brauchen diese Projekte. Wir sind der Meinung, dass sie schön sind. Und solange uns da keiner dreinredet, bleiben diese Dinge so einfach, wie sie sind.

Und so lange bleiben Sie pure Kapitalisten. Woran erkennt man diese denn?

Daran, wie wir unsere Projekte umsetzen und die Mitarbeiter koordinieren. Für unser Projekt in Abu Dhabi arbeiten wir mit Ingenieuren aus der ganzen Welt zusammen.

Apropos: Wann wird das Großprojekt „Mastaba“ (eine Riesenskulptur aus Ölfässern in der Wüste, Anm.) fertig sein?

Ich weiß es nicht, noch fehlen uns die Genehmigungen. Das ist ein sehr kompliziertes Projekt, bei dem es so viele Dinge zu beachten gibt. Wir nehmen keine normalen Ölfässer, sondern Rolls-Royce-Fässer, die extra für uns entwickelt wurden. Und der BASF-Konzern entwickelt die Farben. Er forscht seit vier Jahren an besonders haltbaren Farben.

Wird „Mastaba“ ein Art Memorial für Ihre 2009 verstorbene Frau Jeanne-Claude?

Überhaupt nicht. Wir haben das Projekt bereits 1979 gestartet. Es ist ja ein ziemlich umfassendes Projekt. Die Seiten sind 150 Meter hoch, 225 Meter breit und 300 Meter lang. Wir verbauen etwa 410.000 Fässer.

Das ist die Zukunft. Ein kurzer Abstecher in Ihre Vergangenheit. Erinnern Sie sich noch an Wien?

10. Jänner 1957.

Der Tag, an dem Sie nach Wien gekommen sind?

Als politischer Flüchtling. Ich blieb bis September, dann ging es weiter nach Genf. Nicht, dass es mir in Wien nicht gefallen hätte. Aber ich wollte unbedingt nach Paris. Dort kam ich Anfang 1958 an, und kurze Zeit später lernte ich Jeanne-Claude kennen. In all dieser Zeit war ich ein Staatenloser. Ich war staatenlos bis 1973.

Da erhielten Sie den amerikanischen Pass.

Wir sind 1964 in die USA immigriert. Jeanne-Claude sagte immer: „Wir sind nicht in die Vereinigten Staaten, wir sind nach New York City ausgewandert.“

Weil wir aber gerade in Österreich sind: Gäbe es hier etwas, was Sie gern verhüllen würden?

Ich erinnere mich noch an meine Zeit in Wien, da sah ich plötzlich diese Flaktürme. Und ich versuchte, diese Türme Mitte der 1970er-Jahre zu verhüllen. Ich machte für dieses Projekt eine Menge Studien und Zeichnungen. Ich glaube, es gibt da ein Museum in Linz, das diese Manuskripte und Zeichnungen hat.

Viel schöner sind die Flaktürme in der Zwischenzeit nicht geworden. Wollen Sie nicht noch einen Verhüllungsversuch unternehmen?

Wir haben damals versucht, eine Genehmigung zu bekommen, aber da hatten wir in Wien keine Chance. Aber in dieser Hinsicht ist Wien auch keine Ausnahme gewesen. In den vergangenen 50 Jahren habe ich 22 Projekte umgesetzt, 37-mal bin ich an der Umsetzung gescheitert, weil ich die dafür erforderlichen Genehmigungen nicht bekommen habe.

Und wenn wir beim Wiener Bürgermeister ein gutes Wort für Sie einlegen würden?

Jetzt ist es leider zu spät. Aber Wien wird immer die erste westliche Stadt sein, in der ich gelebt habe.

Das war auch eine Zeit, in der Sie mit ihrer Frau in Armut gelebt haben ...

Nein, nein, nein! Jeanne-Claude würde sagen: „Wir waren niemals arm, wir hatten nur zeitweise kein Geld.“ Das ist ein großer Unterschied. Wir waren nicht arm, denn wir besaßen schließlich unsere Kunst.

Sie haben sich also niemals arm gefühlt?

Nein, wir hatten ja immer viel Arbeit mit unserer Kunst.

Wäre eine Welt ohne Kunst arm?

Wenn Sie die Kunst im Herzen meinen, dann wäre die Welt ohne sie arm. Wenn Sie den Besitz von Kunst ansprechen, dann nicht. Kunstwerke sind hoch kapitalistische Objekte.

Welches Ihrer Kunstwerke hat für Sie persönlich die größte Bedeutung?

Haben Sie Kinder? Welches von ihnen hat für Sie persönlich die größte Bedeutung? All diese Projekte sind unsere Kinder.

ZUR PERSON

Christo Vladimirov Javacheff wurde 1935 in Bulgarien geboren und studierte Kunst in Sofia. 1956 flüchtete er über Wien nach Paris. Dort lernte er seine Frau Jeanne-Claude (1935–2009) kennen, mit der in die USA emigrierte. Mit ihr realisierte er viele Kunstprojekte, etwa 1995 die Verhüllung des Berliner Reichstages. Laufende Projekte sind „Over the River“ (Überspannung des Arkansas River in Colorado) und „The Mastaba“ (gestapelte Ölfässer in VAE).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2014)

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