Madrid: Wo der Lebensübermut wieder brummt

(c) http://www.hotelsieteislas.com
  • Drucken

Der hippste Stadtteil der spanischen Metropole trotzt der Krise mit Charme und Kreativität. Wie Eiswürfel im Sangria, so verlieren sich junge Madrilenen wieder im Viertel Malasaña, dem einstigen Zentrum der Movida Madrileña.

Am wichtigsten ist es, optimistisch zu bleiben“, sagt Blanca del Amo und versenkt eine Zitronenhälfte im Gin Tonic. Die Frau muss es wissen. Ihre Bar ist proppenvoll bis auf den letzten Quadratzentimeter, und das um vier Uhr morgens. Seit 22 Jahren steht die Barkeeperin hinterm Tresen des Tupperware in Madrids Szeneviertel Malasaña. Sie muss keine Argumente liefern. Ihr ansteckendes Lachen ist Bestätigung genug.

In Zeiten der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit, sinkender Gehälter und der Flucht junger Spanier ins Ausland bleibt die Tupperware Bar ein Ort, an dem Malasaña trinkt, feiert und lebt. Wie zu besten Zeiten, als Stars und Sternchen einfielen, um sich im Madrilener Nachtleben zu verlieren wie ein Eiswürfel im Sangria. Mit den Szenevierteln East Village in Manhattan und Camden in London wurde Malasaña immer wieder gern verglichen. Die Krise schien dies alles in alte, längst vergangene Zeiten zurückzuweisen.

Die Tupperware Bar ist ein Poptempel mit schrillem Interieur. Eine Armee quietschbunter Plastikfiguren aus den Siebzigern schielt den Partymenschen am Tresen in die Biergläser. „Marylin Manson, Los Pixies, Los Coronas –  sie waren alle hier“, erzählt Blanca. Aber das ist lange her. „Natürlich bekommen wir die Krise zu spüren. Die Leute haben einfach weniger Geld.“

Auf dem Höhepunkt der Krise zogen ihre beiden Geschwister, zwei Musiker, nach New York. Sie suchten irgendwo zwischen Madrid und Brooklyn eine neue Bühne. Folgerichtig heißt Blancas zweite Bar, die sie 2012 in der belebten Calle San Andrés eröffnete, Madklyn. „Vielen jungen Menschen fehlte lange die Hoffnung, hier etwas Neues anzupacken“, sagt Blanca, „aber es gibt eine neue Aufbruchstimmung in Malasaña.“

In dieser Nacht drängen sich Jugendliche mit lässigen Klamotten und schrillen T-Shirt-Aufdrucken vor dem Madklyn. Alles scheint fast ein bisschen wie in den späten 70ern und 80ern, als nach der Franco-Diktatur Malasaña das Zentrum der Movida Madrileña wurde. Im Rausch der neuen Freiheit entdeckten die jungen Spanier das Schrille, Spontane und Unkonventionelle. Pedro Almódovar drehte seinen Kultfilm „Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande“, Rockgruppen wie Alaska y Dinarama und Radio Futura brachten mit grellen Outfits und wilden Rhythmen ihr Publikum zum Toben.

Mit seinem Popklassiker „La Chica de Ayer“ schuf Antonio Vega die Hymne der Movida Madrileña. Sie sollte eine ganze Generation prägen. In der Zeitung „El País“ erklärten Musikkritiker das Lied gar zum besten spanischen Popsong aller Zeiten. 2011, zwei Jahre nach dem Tod des charismatischen Madrilenen, wurde die Straßenkreuzung gleich neben der Tupperware Bar Plaza Antonio Vega getauft, eine Hommage an einen der Helden des Nachtlebens von Malasaña.

Seit Ende der 90er fotografierte Blanca del Amo zahllose Freunde und Partygänger in der Tupperware Bar, Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Designer und den Nachbarn von nebenan. Ihr Bildband „Malasaña volumen 1“ ist eine Hommage an ihren Stadtteil. Er zeigt die Madrilenen in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Porträts. „Ich wollte das Gesicht Malasañas in möglichst vielen Facetten zeigen“, sagt die Fotografin. Malasaña lacht herzhaft aufgedreht – und verfällt dann wieder in Weltschmerz wie ein Dichter am Morgen nach einer durchsoffenen Nacht.

Graffitiverschmierte Gassen


Tapas, Wein und Nachtleben gehören genauso zu der Stadt wie der Prado. Doch mit der Wirtschaftskrise schien die Hauptstadt jahrelang in Depressionen zu versinken. In Malasaña aber spürt man, wie die Metropole langsam ihren Lebens(über)mut wiederfindet. Ein Spaziergang von der hübschen Plaza San Ildefonso mit der doppeltürmigen Kirche zur geschäftigen Plaza del 2 de Mayo führt durch graffitiverschmierte Gassen vorbei an neu geöffneten Designerboutiquen und Bioimbissen. Madrileninnen mit übergroßen Sonnenbrillen führen ihre Hündchen spazieren. Backpacker kurieren ihren Hangover in hippen Straßencafés. In einem Slow-Food-Imbiss drängt eine Schlange zum Tresen. In einem veganen Restaurant bohrt ein Studentenpärchen in der Trüffel-Saucen-Tagliatelle, während beide auf ihren i-Phones tippen. Die Krise wohnt woanders.

Malasaña zieht seit jeher Kreative und Künstler an. Berühmtheiten wie die Schauspielerin Elena Anaya wohnen hier, der peruanisch-spanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa soll hier gern seinen Kaffee schlürfen. „Me Gustas Tú – ich mag Dich, Malasaña“, singt der Weltmusiker Manu Chao einstimmig mit Partytigern, Lonely-Planet-Jüngern und Erasmus-Studenten, die hier ihr Eldorado gefunden haben, für eine Nacht, ein paar Monate oder ein ganzes Leben.

„Malasaña ist nicht nur Nachtleben“, sagt Ara Malikian, „ich mag hier besonders die kleinen Geschäfte, Obstläden, die Cafés. Alles ist wie ein kleines Dorf und man fühlt sich nie allein.“ Gerade hat der Violinist im voll besetzten Teatro Lara sein Konzert beendet. Das Theater mit der goldumrankten Bühne und dem üppigen Deckengemälde war rammelvoll. Malikians Konzerte sind Performances. Der Geiger mit der schwarzen Löwenmähne hüpft übermütig über die Bühne, fällt mal wie betrunken zu Boden, lässt die wilde Lockenpracht wirbeln und dabei die Saiten seiner Violine schwitzen.

Seine freizügigen Interpretationen von Vivaldis „Jahreszeiten“ sind in Malasaña auch nach Jahren immer noch bestens besucht. Man winkt ihm freundschaftlich auf der Straße zu. 1998 zog der im Libanon geborene Armenier nach Madrid und fühlt sich in Malasaña zu Hause. Sein Vater, ebenfalls Musiker, spielte im Ensemble der berühmten Sängerin Fairuz. In Malasaña fand der weltweit auftretende Violinist nicht nur ein Zuhause, sondern auch sein Wunschpublikum. „Die Leute sind sehr offen hier. Das Publikum hat Lust auf Kultur.“
Kaum fünf Gehminuten vom Teatro Lara wartet im Teatro Alfil eine der experimentierfreudigsten Schauspielgruppen Spaniens. Die Truppe von Yllana weiß mit brachialen Slapstick-Nummern, irrwitzigen Pantomine-Einlagen und grotesken Handpuppen-Orgien auch Gäste aus der Fassung zu bringen, die kein Wort Spanisch verstehen. In Malasaña bildet Yllanna auch internationalen Nachwuchs in moderner Comedy aus. Wegen Geldknappheit stand das Theater mehrmals vor der Schließung. Dank seiner radikalen Programmideen und einem hingerissenen Stammpublikum hat es aber auch die schlimmsten Krisenjahre überstanden.

Anders als viele andere Kulturschaffende hat die Krise Ara Malikian nicht so hart getroffen. „Es sind schwierige, aber keine schlechten Zeiten“, sagt er. „Klar, überall wird gekürzt und gespart. Aber die richtig guten Leute konnten sich halten und die Konzerte und Ausstellungen sind wieder voll. Malasaña ist zurück.“

SCHÖN UND SCHRILL – NACHTS DURCH DAS MALASANA-VIERTEL

Anreise: Wien–Madrid–Wien mit Iberia oder Flyniki nonstop ab 223 Euro. Schlafen: Hotel Abalú, Calle Pez, 19. Die von Modeschöpfer Luis Delgado geschaffene Inneneinrichtung eines von Malasañas neuesten Boutiquehotels ist allein schon eine Nacht wert. hotelabalu.com +34/915/31 47 44. Hotel Siete Islas, Calle Valverde, 14.
Seit Langem unter den beliebtesten Unterkünften im Szeneviertel mit herzlichem Service und in bester Lage. hotelsieteislas.com; 34/915/23 46 88 Tupperware, Calle Corredera Alta de San Pablo, 26 Madklyn, Calle San Andrés, 12.
Die beiden Bars von Blanca del Amo gehören zu den angesagtesten Adressen in Malasaña. Die besten Tapas und garantiert das richtige Bier oder den richtigen Wein dazu gibt's in der Casa Julio, die an manchen Nächten aus allen Nähten platzt. Casa Julio, Calle de la Madera, 37 Teatro Lara: teatrolara.com Teatro Alfil: teatroalfil.es Infos: spain.info; 01/512 95 80-0

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.