Berlin: Wohlstand ohne schlechtes Gewissen

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Die Renaissance der City West rund um den Bahnhof Zoo schreitet fort, zuletzt mit der Eröffnung des Bikini-Hauses.

Die große Prachtstraße Berlins, der Kurfürstendamm, hat sich nach fast zwei Jahrzehnten des Schattendaseins wieder gemausert. „Viele Unternehmer ziehen aus Berlin-Mitte in die City West, mittlerweile kostet der Quadratmeter auf dem Ku'damm monatlich nicht unter 150 Euro“, sagt Gottfried Kupsch, Vorstand der AG City und Immobilienexperte. Ein gutes Beispiel für die Renaissance der City West ist das Ku'damm-Eck an der Ecke Kurfürstendamm/Augsburger/Joachimsthaler Straße, das in zwanzig Jahren fünfmal neu gebaut wurde. Zuletzt zog das Swissôtel Berlin hier ein, mit dem Schweizer Restaurant 44 und der Palermo-Bar. Gleich gegenüber eröffnete die Astor-Filmlounge, ein exklusives Kino, in dem Champagner und Fingerfood serviert werden. Als am Zoo-Fenster das 31-stöckige und 118 Meter hohe Waldorf Astoria entstand, waren die Westberliner anfangs skeptisch. Aber inzwischen pilgern sie in Scharen zu Starkoch Pierre Gagnaire im Les Solistes oder sitzen auf der Terrasse des Romanischen Cafés, obwohl gegenüber derzeit die Baustelle des Upper-West lärmt. 2016 wird es fertig, beide Hochhäuser sind dann ungefähr gleich hoch. Ins Upper West zieht der Flagship-Store des Motel One mit der Sky Bar auf 110 Metern Höhe. Von dort kann man dann hinüberschauen zur Lang-Bar im Waldorf Astoria. Aber: „Es muss noch einiges anders werden“, sagt Kupsch, „die Dreckecken rund um den Bahnhof Zoo müssen weg.“ In den 1970er- und 80er-Jahren war „am Zoo“ die Stricher- und Drogenszene zu Hause. Heute sind es Obdachlose und Fast-Food-Läden. 2015 beginnt die Sanierung des Bahnhofes, die bis 2017 dauern soll.

Das Areal vis-à-vis hingegen ist mittlerweile ein Glanzstück. Die Bayerische Hausbau hat das ganze Areal zwischen Hardenbergplatz und Zoo-Aquarium 2002 gekauft und für die Revitalisierung einen dreistelligen Millionenbetrag investiert, 51.000 Quadratmeter insgesamt. Als Erstes wurde das 1957 erbaute Kino Zoo-Palast saniert. Es eröffnete vergangenen November und ist nun das schönste Kino Berlins – sieben Säle, 1650 Ledersessel mit variabler Rückenlehne und großer Beinfreiheit, Logen mit Bedienservice. Zudem verfügt der Zoo-Palast über die größte Dolby-Atmos-Anlage Deutschlands.

Im Februar kam dann der zweite Paukenschlag: die Eröffnung des Hotels 25hours im ehemaligen Hochhaus des sogenannten Bikini-Areals. Aus den zimmertiefen Hotelfenstern kann man den Affen im Zoo beim Spielen zusehen. Das Motto des Gestaltungsteams um Werner Aisslinger lautete „Urban Jungle“ – der gestaltete Großstadtdschungel verblüfft tatsächlich durch seine Schlichtheit und dann wieder mit seiner Eleganz. Im dritten Stock, über der Rezeption, hängen unverkleidete Rohre, Leitungen, Graffiti leuchten auf grauem Grund, alles „Kunst“. Der Japaner Yoshi Sislay hat zwei Monate das gesamte Haus mit schwarzen Filzstiften bemalt: die Zimmerwände mit Fischen, Affen und Giraffen, die Fahrstühle mit Hinweisen und sogar die Shampooflaschen: „Stop the water while you use me“. Die „urbane Baustelle“ gehört zum Stil. Im zehnten Stock befindet sich das Restaurant Neni mit eklektisch-ostmediterraner Küche, die Monkey-Bar und eine atemberaubende Rundumterrasse. Das Konzept des Neni stammt von Haya Molcho, die jetzt in Wien lebt und das kleine Neni auf dem Naschmarkt bekocht.

Im April dann der dritte Schritt: die Eröffnung einer exorbitante Concept Mall. Das legendäre Bikini-Haus wurde 1955 von den Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger entworfen. Das Gebäude war zweigeteilt mit einer offenen Galerie, daher der Name Bikini. Der denkmalgeschützte Komplex wurde in zweieinhalb Jahren umgebaut.

Auf dem letzten Drücker


In die unteren drei Etagen sind Shops von Andreas Murkudis, Griffon, Umasan und Gastronomie wie Due Pezzi eingezogen. Die dritte bis fünfte Etage sowie die Penthouses beherbergen exklusive Büroflächen. Im Bikini-Berlin-Pool im Parterre findet man auf 3300 Quadratmetern neunzehn Boxen – Pop-up-Stores von jungen Designern mit flexiblen Mietverträgen. „Handmade in Berlin“ liest man da oft – ohne Englisch ist man in der ganzen Mall aufgeschmissen, Deutsch ist hier eine Fremdsprache. Die Pop-up-Boxen kosten 2500 Euro im Monat mit Strom, aber ohne Wasser und Toilette.

In der zweiten Etage logiert einer, bei dem es schon lang sehr gut klappt: Andreas Murkudis verkauft auf 1200 Quadratmetern hochwertige Designerstücke und hat in der unteren Etage noch ein paar Quadratmeter, „Sachen für jüngere Leute, auch etwas günstiger“. Murkudis lebt seit 1973 in Berlin-Charlottenburg, hat als Kunsthistoriker fünfzehn Jahre im Gropius-Bau gearbeitet. Schon immer hat er schöne Dinge gesammelt, als er genug Lieblingsteile zusammenhatte, machte er einen Vierzig-Quadratmeter-Shop auf, der bald zu klein und durch einen riesigen Concept Store in Berlin-Mitte ersetzt wurde, den er aber schließen will. „Mitte ist durch“, sagt Andreas Murkudis, zu viele große Ketten hätten da jetzt kleinere, gute Läden verdrängt. Im Bikini Berlin gibt es wieder seine bunte Mischung mit Stil: Designerkleidung, Taschen, Vasen, Bücher, Bodylotion, Schokoladen, Baumkuchen, allesamt handwerklich hochwertig hergestellt.

„Die Dachterrasse hat 7000 Quadratmeter und ist zwischen Kino und Shoppingmall auch von außen begehbar“, erklärt der Münchner Architekt Dionys Ottl, der am Bikini zweieinhalb Jahre durchgearbeitet hat, meist von „acht bis acht“. Das Schwierigste sei der abgemagerte Beton gewesen, die filigrane Fassade aus den Fünfzigerjahren, die man so heute nicht mehr bauen würde. „Wir dämmen heute die Gebäude viel stärker ab, alles ist dicker.“ Das sei eine enorme Fleißarbeit gewesen. Die Originalfassade sollte so authentisch wie möglich wiederhergestellt werden, in den 80er-Jahren hatte man die ganze Südfront, zweihundert Meter, mit Kunststoff verkleidet. Die beim Abtragen zerstörten, farbigen Glasplatten wurden zerkleinert und im Innenbereich wieder verwendet.

„Was mich in Berlin wundert“, sagt der Architekt, „ist die Spontanität: Jeder kommt hier auf den letzten Drücker. Manche Ladenbesitzer sind zwei Wochen vor Eröffnung immer noch nicht eingezogen.“ Auch wisse man hier immer ganz genau, was man nicht wolle, und darüber könne man stundenlang reden. Was er an der City West gut finde, sei die gesunde Mischung: „Hier rennt man nicht jedem Trend hinterher, man sieht ältere und junge Leute, arme und reiche.“

Jürgen Büllesbach, Vorsitzender der Geschäftsführung der Bayerischen Hausbau, erläutert das Konzept von Bikini-Berlin so: „Kern der Marke ist das Motto ,Lebe anders‘ – Lebensfreude, intelligenter Konsum, Wohlstand ohne schlechtes Gewissen, nachhaltiges Wachstum.“ Jessica Esser, Senior Consultant der Press Factory, die das Areal vermarktet: „Wir wollen hier keine Billigtouristen wie am Prenzlauer Berg, sondern andere, zahlungskräftigere Kunden.“

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Die nächste Generation vom Bahnhof Zoo

Dolores Kummer, Berlinerin, lebt zwar am Prenzlauer Berg, empfiehlt aber dringend, der aufblühenden City West mehr Zeit zu widmen.


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