Costa Rica: Die grünen Riesen kommen

Meeresschildkröte
Meeresschildkröte(c) wikipedia/ Brocken Inaglory
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Die Dörfer Parismina und Tortuguero an der Karibikküste sind einmal im Jahr Zeugen eines beeindruckenden Schauspiels: der Eiablage riesiger Meeresschildkröten.

Sie schnaubt, keucht schwer und pustet. Die Meeresschildkröte liegt erschöpft bäuchlings auf dem schwarzen Karibikstrand zwischen dem tosenden Meer und den im Wind rauschenden Kokospalmen.
Seit einer Stunde schon verscharrt das mächtige Reptil seine Eier. Mehr als hundert Stück, golfballgroß, hat es in der Nacht in die Mulde abgelegt – eine anstrengende Angelegenheit für den behäbigen 200-Kilogramm-Koloss. Nun ist er spät dran, die Sonne geht auf. Wenn Fressfeinde, vor allem Seevögel, das Tier erspähen, ist sein Gelege verloren. Es setzt zum letzten Schwung an, dreht sich mühsam Richtung Meer und robbt im Schneckentempo im frühen Morgenlicht zurück in die Fluten.
Jedes Jahr sind die Karibikstrände Costa Ricas das Ziel zahlreicher vom Aussterben bedrohter Meeresschildkröten. Hier, im Nationalpark Tortuguero, wo zwischen den Dörfern Parismina und Tortuguero auf 750 Quadratkilometern eine weit verzweigte Lagune parallel zur Küste im Regenwald liegt, ist ihre Eiablage das touristische Highlight schlechthin. Die Einheimischen nennen die Masseneiablage Arribadas – Ankünfte. Die Suppenschildkröten legen im Nationalpark Tortugueo von Juni bis September ihre Eier genau dort ab, wo sie geboren wurden, die Lederschildkröten von April bis November, den Echten Karettschildkröten kann man von Mai bis Oktober bei ihrer Schwerstarbeit zuschauen. Die lokale Nationalparkverwaltung bewacht die Küstenabschnitte von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Nur in Begleitung eines lizenzierten Guides sind die nächtlichen Strandbesuche zur Brutzeit möglich. Dann warten kleine, in Schwarz gekleidete Grüppchen auf dem Pfad hinter den Palmen mit einem ausgebildeten Turtle-Scout. Es ist stockfinster, nur die Milchstraße und Myriaden von Sternen funkeln am Himmel. Erst wenn der Scout sein Okay gibt, dürfen die Touristen an den Strand: nur in Gruppen, unbedingt unparfümiert, ohne Taschenlampe und ohne Fotoapparat – denn all dies würde das Reptil ablenken. „Wir Dorfbewohner sind begeisterte Schildkrötenschützer. Das Turtle-Watching ist für uns aber gleichzeitig auch eine tolle Einnahmequelle“, erzählt Guide Richard und winkt seine Urlaubergruppe herbei.

Kapuzineraffen, Tukane


Das war nicht immer so. Bis 1975, dem Gründungsjahr des Nationalparks, wurden die an Land so unbeholfenen Tiere unerbittlich gejagt, ihr Fleisch in Suppen, der Panzer zu Schmuck und Brillenfassungen verarbeitet – über Jahrzehnte ein illegales, aber äußerst lukratives Geschäft für die Einheimischen. Tortuguero bekam zu dieser Zeit seinen Namen: Schildkrötenfängerdorf.
Außer Fischfang gab es für die Menschen nicht viel zu tun. Keine Straße verband die Dörfer mit dem Festland. Auf der einen Seite das Karibische Meer, auf der anderen der Süßwasserurwaldfluss, waren sie nur per Flugzeug oder Boot erreichbar. Bis heute hat sich das nicht geändert – bei den Touristen sind die Touren zu den Schildkröten dennoch heiß begehrt. Die meisten kommen im Rahmen einer dreitägigen Tour von der Hauptstadt San José aus. Doch manch einer bliebe gern länger – bei maximal 350 gestatteten Besuchern pro Tag kein leichtes Unterfangen.
In Tortuguero, mit 700 Einwohnern der größte Ort am Rand des Nationalparks, künden bunte, selbst gemalte Werbeplakate an den Hauswänden Schildkrötentouren und die costaricanischen Sodas – kleine Restaurants – an. Im angrenzenden Tortuguero-Kanal paddeln Touristen im hölzernen Kanu entlang der gigantischen Galeriewälder. Im Astgewirr springen Kapuzineraffen umher, Tukane flattern in den Baumwipfeln. 375 Vogelarten soll es hier geben – die wenigsten davon ungefährlich für das Gelege der Schildkröten.
Das halb so große Parismina ist vom modernen Tourismus noch weit entfernt. Hier locken Gastfamilien, Schildkröten-Freiwilligenprogramme der lokalen Organisation Asociacion Salvemos las Tortugas de Parismina zum Schutz der Reptilien, und eine Brutstätte die wenigen Besucher. Kinder laufen barfuß im Sand, Ältere spielen auf dem Rasenplatz Fußball. So vergehen Tage und Monate, zwischen zahlreichen Strandpatrouillen zum Schutz der gefährdeten Riesen.
Bis zum Dezember. Dann gibt es ein weiteres touristisches Highlight. Hunderte grüner Meeresschildkröten schlüpfen aus ihren Eiern und bevölkern den Strand. Die Einheimischen beginnen dann eine neue Saison, mit Feldarbeit und Flussfischerei, bis im nächsten Juni die nächsten Schildkröten und Touristen kommen.

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