Guantánamo: Leguane und Langeweile in Fidels Hinterhof

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Seit 1903 betreiben die USA ihren Marinestützpunkt in Kuba. Die knapp 5000 dort stationierten Soldaten und Zivilisten verbringen die meiste Zeit mit Beschäftigungstherapie, denn zu tun gibt es für sie wenig.

Einmal kurz nicht aufgepasst, schon drohen 1000 Dollar (770 Euro) Geldstrafe und ein Disziplinarverfahren: Wer auf einer der Straßen der Marinebasis Guantánamo Bay einen Leguan überfährt, muss streng büßen. Denn die urtümlichen Echsen stehen nach US-Recht unter Naturschutz. Deshalb vermehren sie sich hervorragend auf den circa 117 Quadratkilometern des Stützpunktes; fast jeder zehnte kubanische Leguan lebt heute auf dem Stützpunkt. „Es gibt auch Seekühe hier. Wir haben ein eigenes Schutzprogramm für sie“, erzählt eine der jungen Soldatinnen, die zur ständigen Begleitung des Korrespondenten der „Presse am Sonntag“ abkommandiert ist.

Nicht nur des Schutzes bedrohter Tierarten nimmt sich das amerikanische Militär hier an. Auch den 2132 Soldaten und 2828 Zivilisten, die hier arbeiten, soll es an nichts fehlen. Und so hat die Basis, die sich kühn „Die Perle der Antillen“ nennt, einen Golfplatz, ein Sportstadion, mehrere Badestrände, ein Freiluftkino für mehrere hundert Zuschauer, ein Schwimmbad, Schnellimbisslokale von McDonald's und Subway sowie einen eigenen Radiosender namens Radio Gtmo. Motto des Senders: „Rockin' in Fidel's Backyard“. Im Foyer des Senders gibt es um 20 Dollar Wackelkopffiguren von Fidel Castro, Kubas ehemaligem, greisem Machthaber, zu kaufen. Der Reinerlös gehe an eine Stiftung für invalide Veteranen, erklärt der leitende Offizier. Sie können dann zum Beispiel auf Guantánamo das Tauchen erlernen.

Wer die lange Hauptstraße namens Sherman Avenue entlangfährt, muss sich bisweilen verwirrt fragen, ob er in einer typischen amerikanischen Vorstadt gelandet ist oder in einem sozialistischen Arbeiterparadies aus dem Schweden oder Jugoslawien der späten 1970er-Jahre. Einheitliche, pastellfarbene Plattenbau-Einfamilienhäuser säumen den Boulevard, durchsetzt von identischen neuen Kinderspielplätzen. Über die akkurat gemähten Rasenflächen schleichen handzahme Leguane und staksen fußballgroße Winkerkrabben, im Gestrüpp rascheln Bananenratten, enorme Nagetiere, die es nur in Kuba gibt. Pädagogisch motivierte Plakate rufen die großteils sehr jungen Soldaten dazu auf, ihren Sold nicht durch Trunkenheit am Steuer aufs Spiel zu setzen: „Du hast es verdient. Vergeude es nicht!“ Viele Gelegenheiten für eine Alkoholvergiftung gibt es hier nicht: ein Irish Pub, ein kubanisches Lokal und eine jamaikanische Grillstation. Sperrstunde ist um 20 Uhr.

Im Jahr 1903 bedingte sich Washington die Pacht der Marinebasis an der Mündung der Guantánamo-Bucht als Preis dafür aus, seine sonstige militärische Präsenz auf der Insel zu verringern. 1934 wurde der Vertrag nachverhandelt und die jährliche Pacht auf den Betrag von 4085 Dollar festgelegt. Nur mit Zustimmung beider Regierungen kann die Pacht beendet werden; es ist ausgeschlossen, dass Washington das in absehbarer Zeit tun wird. Dass das seit 1959 in Havanna amtierende Castro-Regime den jährlichen Scheck aus Amerika seither nur einmal eingelöst hat (und das auch nur durch ein Versehen eines Buchhalters), ändert nichts daran, dass die US-Truppen rechtmäßig in Kuba stationiert sind.

Die rund 27 Kilometer lange Grenze zu Kuba ist schwer vermint – allerdings nur mehr von den Kubanern, denn Präsident Bill Clinton ließ die amerikanischen Minen räumen und durch Bewegungsmelder ersetzen. Hunderte Marineinfanteristen in Humvee-Fahrzeugen patrouillieren heute entlang des Stacheldrahtzaunes.

Flüchtlingskrisen. Filipinos und Jamaikaner erledigen alle einfachen und mühseligen Arbeiten auf der Basis. Lange pendelten täglich kubanische Gastarbeiter ein; die beiden letzten gingen 2012 in Pension. Knapp zwei Dutzend Kubaner, die einst vor Castro flohen, leben noch auf der Basis.

Militärisch hat die Basis nach dem Ende des Kalten Krieges enorm an Bedeutung verloren. Einzig nach dem blutigen Putsch in Haiti im Jahr 1991 erfüllte sie als Auffanglager für zehntausende Flüchtlinge einen sinnvollen Zweck. Später wurden hier auch kubanische Asylwerber untergebracht. Die Letzten von ihnen verließen die Insel 1996. Straffällige Flüchtlinge wurden damals übrigens in jenem spartanischen Käfiglager interniert, das 2002 als Camp X-Ray Kriegsgefangene und Terrorverdächtige aus Afghanistan beherbergte. Ein Plan der Clinton-Regierung, während des Jugoslawien-Krieges 20.000 Kosovo-Albaner hier unterzubringen, wurde 1999 letztlich als unpraktikabel verworfen.

Und so sind die sechs- bis neunmonatigen Touren der Soldaten auf Guantánamo von Fadesse geprägt. Aufstehen, Morgensport, Frühstück, elf Stunden Dienst, Gewichtheben, Abendessen, Schlafen: So beschreibt ein 20-jähriger Gefreiter der US-Militärpolizei seinen typischen Tagesablauf. Was ist das Härteste, das ihm bisher auf Guantánamo widerfahren ist? „Das Härteste? Die schlechte Internetverbindung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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