Mobbing: "Keiner hat mehr mit mir geredet"

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Auf einmal wenden sich Freunde ab, findet man Lügen über sich im Internet und steht zunehmend isoliert da. Beim Ersten österreichischen Mobbingkongress wird diskutiert, wie Mobbingopfern geholfen werden kann.

Die 14-jährige Hannah und die 15-jährige Amanda zerbrachen daran – sie verübten Suizid, weil sie im Internet verleumdet, bloßgestellt, angegriffen wurden und keinen Ausweg mehr wussten. Barbara (Name geändert), Gymnasiastin in einer niederösterreichischen Kleinstadt, war 14, als der Mobbingterror begann, „kurz nachdem ich mit meinem Freund Johannes Schluss gemacht hatte, ging es los“.

Erst schrieb Johannes bösartige SMS, dann hatten die gemeinsamen Freunde aus der Clique, „mit denen wir früher dauernd etwas unternommen haben, plötzlich keine Zeit mehr für mich. Keiner hat mehr mit mir geredet, ich war plötzlich allein.“ Dann kamen Anschuldigungen auf Facebook, „alle haben Lügen über mich gepostet. Ich war total fertig, konnte nicht mehr schlafen und habe viel geweint.“

In ihrer Verzweiflung meldete sich Barbara von Facebook ab. „Dann ging der Handyterror los, mein Handy läutete ständig.“ Aus Angst hob sie gar nicht mehr ab. „Ich traute mich zeitweise fast nicht mehr aus dem Haus. Weil die ständigen Anrufe nicht aufgehört haben, habe ich mir eine Geheimnummer genommen.“ Als Johannes auch noch versuchte, tätlich zu werden, suchte sie Hilfe bei Erwachsenen.

Marion Humer hat ihr geholfen. Die klinische Gesundheits- und Arbeitspsychologin hat schon zahlreiche Mobbingopfer betreut. „Mobbing ist ein großes Thema, aber es gibt meiner Meinung nach zu wenig Fortbildung dafür.“ Daher hat Humer mit Kollegen den Ersten österreichischen Mobbingkongress organisiert, der am 3. und 4.Oktober in Wels stattfindet. „Die meisten Opfer entwickeln depressive Zustände, haben Angst, werden antriebslos, kämpfen mit Übelkeit, weinen häufig und werden unsicher.“

Zu den vielen weiteren Folgen zählen Panikattacken, posttraumatische Belastungsstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Probleme, Schlafstörungen. Die Opfer reagieren auch mit Leistungsverlust, Demotivation, Misstrauen, Nervosität, sozialem Rückzug. Auch Konzentrationsschwäche, Angstzustände, Blockaden, Arbeitsunfähigkeit, Aggressivität und Selbstzweifel können durch Mobbingattacken ausgelöst werden.


Konfliktscheue treibt Täter an. Auch Barbara wurde von extremen Selbstzweifeln geplagt. „Ich habe lange Zeit geglaubt, ich hätte alles falsch gemacht. Ich hatte große Angst, Fehler zu machen. Das hatte ich aber schon in der Beziehung mit Johannes. Da habe ich mir viel zu lange seine Launen und seine extreme Kontrollsucht gefallen lassen und nie aufbegehrt“, erinnert sich die Niederösterreicherin. „Konfliktscheue treibt Mobbingtäter an. Die späteren Opfer warten zu lange, lassen sich zu lange etwas gefallen“, sagt Christa Kolodej, die Beratungen bei Work&People, einem Zentrum für Mobbingberatung und Konflikte am Arbeitsplatz durchführt.

Den Prototyp eines Mobbingtäters oder -opfers, so Kolodej, gäbe es nicht. Die Wissenschaft ist sich da uneins. Die These etlicher Forscher, dass Opfer im Schnitt ängstlicher und unterwürfiger seien, ist stark umstritten. Ebenso die These von der Persönlichkeit des Mobbers: Ein Teil der Wissenschaftler geht davon aus, dass Täter mit dem Terror ihr schwaches Selbstbewusstsein kompensieren wollen, andere behaupten genau das Gegenteil: Mobber seien im Schnitt selbstbewusster und weniger ängstlich. Kolodej: „Auf jeden Fall spielen gerade in der Schule auch der Gruppendruck, die Gruppendynamik eine wichtige Rolle.“

Eine der ersten Reaktionen eines Betroffenen könnte ein Abfall schulischer Leistungen sein. So wie auch bei Joel, jenem 13-Jährigen aus Kärnten, der Suizid beging – weil er in der Schule und im Internet schikaniert worden war. „Mobbing hat es unter Schülern ja schon immer gegeben, aber das Internet hat neue, gewaltige Dimensionen eröffnet“, sagt Gruppeninspektor Alexander Geyrhofer, der beim Kongress über „Neue Medien – neue Chancen – neue Gefahren“ berichten wird. Aber nicht in seiner Funktion als Polizist, sondern als diplomierter Sozial- und Gewaltpädagoge. Gewalt sei auch im Spiel, man denke nur an das Happyslapping: Das gezielte Schlagen eines Opfers wird mit einer Kamera aufgenommen und ins Internet gestellt.

Der zweithäufigste Ort bei Mobbing ist neben der Schule die Arbeitsstelle. Dort kommen auch Kompetenzentzug, Zuteilung sinnloser oder kränkender Arbeitsaufgaben, Zurückhaltung wichtiger Infos, ständige Kritik an der Arbeit oder Ausgrenzung ins Spiel. Zunehmender Druck in der Arbeit, schlechte Arbeitsorganisation, unklare Zuständigkeiten, ungerechte Arbeitsverteilung oder Konkurrenz unter Mitarbeitern sind ein guter Nährboden für Mobbing. „Ich hatte erst heute wieder eine Klientin mit einer schweren Depression. Sie war von ihrem Chef aufs Gemeinste gemobbt worden, weil sie mehr Aufträge als er hatte“, erzählt Humer. Derzeit prüft die Rechtsberatung der Arbeiterkammer, ob das Vorgehen des betreffenden Chefs, in dem Fall also Bossing, einklagbar ist.


Kein Mobbingtatbestand. Generell existiert im österreichischen Gesetz kein eigener Mobbingtatbestand. Es gibt jedoch die sogenannte Fürsorgepflicht: Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Mobbingattacken eingestellt werden. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann der gemobbte Arbeitnehmer diese Unterlassung einklagen. Freilich muss dieser Umstand erst bewiesen werden. Hilfreich, so Experten, sei es da, die Vorgänge, in einem Mobbingtagebuch zu dokumentieren.

„Hilfreich ist es aber auch, rechtzeitig Grenzen zu setzen und die Probleme gezielt anzusprechen“, rät Kolodej. Doch häufig sind Opfer dazu nicht selbst in der Lage. „Hilfe anzunehmen ist nie eine Schande. Und es ist allemal besser, als schwer krank zu werden, den Job aufgeben zu müssen oder in Depressionen zu verfallen“, sind sich alle Experten einig.

Barbara ist heute glücklich, dass sie sich professionelle Hilfe geholt hat. „Ich hätte es vielleicht früher tun sollen. Heute geht es mir jedenfalls wieder gut. Ich bin seelisch viel stärker und selbstsicherer geworden.“

Tagung

Der Erste österreichische Mobbingkongress findet am 3. und 4.Oktober in Wels statt. Das Gesundheitsministerium hat die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen.

Programm. Am Freitag steht Mobbing unter Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt, am Samstag liegt der Fokus auf dem Arbeitsplatz.

Anmeldung. Die Teilnahme an der Fachtagung kostet 160Euro. Infos finden sich auf der Website der Veranstaltung.

www.mobbing-kongress.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2014)

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