Ein Ultimatum des Regierungschefs an die Demonstranten und Angriffe durch Protestgegner verschärfen die Spannungen.
Auseinandersetzungen zwischen teilweise gewaltbereiten Protestgegnern und friedlichen Demonstranten haben die Spannungen in Hongkong verschärft. Eindringlich warnte Regierungschef Leung Chun-ying am Samstag, die Lage könne "sehr leicht außer Kontrolle geraten". Er rief beide Seiten zur Ruhe auf. Ultimativ forderte Leung bis Montag ein Ende der Blockaden der Demonstranten.
Regierung und Polizeikräfte seien entschlossen, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die soziale Ordnung wiederherzustellen".
Zehntausende zogen am Abend in einem "Aufmarsch gegen Gewalt" durch die Straßen und forderten mehr Demokratie in der heute weitgehend autonom regierten chinesischen Sonderverwaltungsregion. Ein Ausweg aus der größten politischen Krise in Hongkong seit der Rückgabe der ehemals britischen Kronkolonie 1997 an China war nicht in Sicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte in Berlin ihre Hoffnung auf eine "besonnene Reaktion auch der Polizei".
Die Proteste dauern seit mehr als einer Woche an. Die Demonstranten fordern von Chinas kommunistischer Führung echte Demokratie. Auf der anderen Seite stehen die Protestgegner, unter denen sich sowohl patriotische Unterstützer Pekings und der Hongkong Regierung als auch entnervte Bürger finden lassen, die sich über die Behinderungen durch die Demonstrationen beklagen. Es gab aber auch angeheuerte Schläger, die offenbar Verbindungen zur Unterwelt haben, wie die Polizei sagte.
Die Proteste hatten sich an Beschlüssen des Pekinger Volkskongresses entzündet, 2017 zwar erstmals eine direkte Wahl in Hongkong zu erlauben, den Wählern aber eine freie Nominierung der Kandidaten zu verweigern. Die Reform geht den prodemokratischen Aktivisten nicht weit genug, weil China den sieben Millionen Hongkongern vor dem Souveränitätswechsel freie Wahlen in Aussicht gestellt hatte.
In der Nacht zum Samstag kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen. Die Polizei meldete 18 Verletzte und 19 Festnahmen. Regierungschef Leung verurteilte alle Gewalt und warnte vor einer Eskalation. Es könne "ernste Konsequenzen für die Sicherheit der Bürger und die soziale Ordnung haben". Er kritisierte besonders die Zwischenfälle im Stadtviertel Mong Kok auf der Halbinsel Kowloon. "Es war sehr chaotisch - viele wurden verletzt, darunter auch Journalisten."
Er deutete ultimativ ein Eingreifen der Polizeikräfte an, wenn die Demonstranten ihre Sperren auf wichtigen Verkehrsstraßen auf der Insel Hongkong nicht aufheben. Die Zugänge zu den Regierungsgebäuden und die Straßen in den Stadtteilen Central, Western und Wan Chai müssten bis Montag wieder frei zugänglich sein, damit die Beamten wieder zur Arbeit und die Kinder wieder zur Schule gehen könnten.
Nach den Zwischenfällen in der Nacht gab es am Samstag meist Handgreiflichkeiten und Wortgefechte zwischen Protestgegnern und Demonstranten. Unter den Festgenommenen waren acht, bei denen die Polizei Verbindungen zu den mafiaähnlichen Triaden in der asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole vermuteten.
Aktivisten verdächtigten pekingfreundliche Kräfte, Schläger geschickt zu haben. Die Polizei wies Vorwürfe zurück, nicht energisch genug gegen Provokateure vorgegangen zu sein. Als Reaktion hatten die Studentenführer die für Samstag geplanten Gespräche mit der Regierung vorerst "ausgesetzt". Sie hätten das Vertrauen in die Behörden verloren. Aus Protest waren in der Nacht in Mong Kok mehrere tausend Menschen auf die Straßen geströmt. Es kam zu chaotischen Szenen. Die Polizei setzte teilweise Schlagstöcke gegen Demonstranten ein.
"Sie werden organisiert"
Am Samstagabend forderte h der Hongkonger Studentenführer Joshua Wong die Regierung in Chinas Sonderverwaltungsregion auf, gegen die Gewalt ihrer Unterstützer vorzugehen. In einem Interview mit dem US-Sender CNN sagte Wong: "Wir hoffen, dass die Regierung das beendet." Die Regierung müsse Verantwortung für die Protestgegner übernehmen. Diese unterstützten die Regierung, setzten aber Gewalt gegen friedlichen Demonstranten ein, die mehr Demokratie wollten.
Der 17-Jährige beschrieb es als Voraussetzung für eine Aufnahme des geplanten Dialogs, den die Studentenvereinigung am Vortag ausgesetzt hatte. "Diese Leute sind nicht nur einfache Bürger, die in Hongkong leben", sagte Wong. "Sie werden organisiert."
"Es ist eine Schande"
Die Lage war unübersichtlich, weil nicht klar war, wer hinter den Angriffen steht. Demonstranten verdächtigten sogar die Regierung: "Als ich sah, wie wehrlose Studenten von Schlägern verprügelt wurden, habe ich meinen Augen nicht getraut", sagte der 45-jährige Tom Ming der Nachrichtenagentur dpa. ""Es ist eine Schande, dass die Regierung am Donnerstag Gespräche mit den Studenten anbietet und am nächsten Tag die Triaden gegen sie losschickt."
Auf der anderen Seite sahen sich Protestgegner fälschlich diskreditiert. "Wir sind nur einfache Hongkonger, die alle Geduld verloren haben", sagte der 49-jährige Auslieferungsfahrer Thomas Lee.
(APA)