Die Pro-Demokratie-Aktivisten haben nach teilweise gewaltsamen Einschüchterungen einen Teilrückzug angekündigt. Ihr Protest soll aber weitergehen.
Hongkong. Ausgelassen und fröhlich? Das war letzte Woche. Die Stimmung unter den Demokratie-Aktivisten in Hongkong war am Wochenende gekippt. Zwar sind die zumeist jungen Studenten und Oberschüler wie schon in den vergangenen zwei Wochen weiter darum bemüht, ihren Protest auf friedliche Art kundzutun. Doch viele von ihnen wirkten angespannt, geradezu erschöpft.
Grund für diese Stimmung: Seit vergangenen Freitag haben immer wieder offenbar angeheuerte Schläger und wütende Hongkonger Bürger die Blockadecamps der Demokratie-Bewegung angegriffen. Die zumeist jungen Aktivisten versuchten – mit erhobenen Händen – zu beschwichtigen. Aber gegen die muskelbepackten Angreifer hatten sie meist kaum eine Chance. Vor allem bei den Blockaden im Geschäftsviertel Mongkok kam es immer wieder zu handfesten Auseinandersetzungen. Bis Sonntagabend zählte die Hongkonger Krankenhausverwaltung 165 Verletzte.
Ultimatum der Regierung
Die Auseinandersetzungen hat Hongkongs Regierungschef Leung Chun-ying am Sonntag zum Anlass genommen, die Aktivisten zum Ende ihrer Blockaden aufzufordern. Er stellte ihnen ein Ultimatum: Er sei fest entschlossen, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die soziale Ordnung wiederherzustellen“, falls bis Montagmorgen die Straßen nicht wieder frei sind.
Die Demonstranten zeigten sich keineswegs kompromisslos: „Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Mitarbeiter beim Betreten des Regierungsgebäudes behindert“, hieß es in einer Antwort auf das Ultimatum. Das würden sie auch am Montag nicht tun. Ihr Protest richte sich schließlich nicht gegen die Angestellten, sondern gegen Leung.
Ein Gespräch mit dem Regierungschef lehnen die Aktivisten daher weiter ab. Sie würden lediglich mit seiner Verwaltungschefin Carrie Lam reden, sagten sie. Damit auch keine Missverständnisse aufkommen, kündigten die Studenten gestern dennoch ihren Rückzug auch aus den umliegenden Straßen an. Sie versichern aber: Die Blockaden seien zwar vorerst beendet, die Proteste gehen weiter.
Hongkonger Generationskonflikt
Von Anfang an hatte sich der Protest vor allem durch seine Friedfertigkeit ausgezeichnet. Die Aktivisten helfen alten Menschen über die Straße, sie verteilen Getränke und Kuchen an Passanten. „Seht sie euch an“, sagt Martin Lee, Veteran der Demokratischen Partei. „Das sind die wahrscheinlich höflichsten Demonstranten der Welt.“
Mit den seit mehr als zwei Wochen anhaltenden Demokratie-Protesten kommen indes auch die Unterschiede von Hongkongs junger Generation zu ihren Eltern und Großeltern zutage. Viele der heute 50-Jährigen und noch Älteren waren einst vom Festland nach Hongkong geflüchtet, um dem Elend zu entkommen, die Staatsgründer Mao Zedong mit seinen ideologischen Kampagnen angerichtet hatte. Die Flucht der Menschen hatte zwar auch politische Ursachen. Doch die meisten flohen vor der extremen Armut.
Dieses China kennen die jungen Hongkonger nur aus Erzählungen. Und auch das Hongkong unter britischer Verwaltung haben die meisten nicht mehr miterlebt. Protestführer Joshua Wong etwa, der seit Tagen als wortgewandter Sprecher der Bewegung von sich reden macht, war bei der Rückgabe der Stadt an die Chinesen vor 17 Jahren gerade einmal wenige Monate alt.
Die meisten älteren Hongkonger geben sich damit zufrieden, dass sie ungestört ihre Geschäfte betreiben können, politische Mitbestimmung ist für sie sekundär. Die jungen Hongkonger hingegen sorgen sich um die politische Zukunft ihrer Stadt. Diese Kluft zeigt sich auch bei Umfragen. In einer stadtweiten Befragung vor einem Monat gaben 47 Prozent der unter 24-Jährigen an, dass sie die Anliegen von der Protestbewegung „Occupy Central“ unterstützen. Bei den über 40-Jährigen lag die Zustimmung bei 21 Prozent.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2014)