Affären: Entdeckung der Langsamkeit

Ex-Libro-Chef Rettberg.
Ex-Libro-Chef Rettberg.(c) APA (Helmut Fohringer)
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Libro und Yline, zwei spektakuläre Insolvenzen des Jahres 2001. Doch immer noch wird über die mysteriösen Umstände der Pleiten ermittelt.

Fast hätten wir darauf vergessen – wäre nicht der vergangene Montag gewesen. Da wurde André Maarten Rettberg, einst schillernder und allseits beliebter Chef der Buchhandelskette Libro, zu acht Monaten Haft „verknackt“. Letztinstanzlich. Das war's also.

Oder auch nicht: Das Urteil (wegen versuchter betrügerischer Krida) betrifft nämlich nur einen Nebenaspekt der Causa Libro. Das Hauptverfahren rund um die spektakuläre Libro-Pleite des Jahres 2001 steht noch aus.

So es überhaupt jemals dazu kommt.

Die Sache ist nämlich offenbar ziemlich kompliziert. Sieben Jahre sind seit dem Libro-Untergang ins Land gezogen. Doch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelt immer noch. Ob und wann Anklage erhoben werde, könne beim besten Willen nicht gesagt werden, heißt es dort.

Geduld ist also gefragt. Kein Problem für Rettberg-Anwalt Elmar Kresbach, eh klar: „Für meinen Klienten ist das zwar nicht superangenehm, aber auch keine große Beeinträchtigung.“ Und die Causa sei halt wirklich besonders diffizil: „Da geht es um einen Riesenkonzern mit den unterschiedlichsten Facetten.“

Da hat er recht. Außerdem: Anderswo wird ja auch nicht gehudelt. Wieso sich also ausgerechnet bei Libro abhetzen? Die Pleite des Internet-Unternehmens Yline beispielsweise ereignete sich ebenfalls 2001 – und Yline-Chef Werner Böhm hat das bisher auch nicht zum Nachteil gereicht: Auch hier sind die Akten schon einigermaßen patinös, auch hier wird nach wie vor ermittelt.

Ja, das Jahr 2001 hatte es wirklich in sich. Gleich zwei spektakuläre Firmenzusammenbrüche gab es damals: Libro kollabierte unter einer Schuldenlast von 334 Mio. Euro. Dagegen nahm sich Yline mit Schulden von 52 Mio. Euro zwar richtiggehend läppisch aus. In beiden Fällen wird allerdings – es gilt die Unschuldsvermutung – wegen Betrugs, Bilanzfälschung und Verstößen gegen das Aktiengesetz ermittelt. Und das offenbar sehr ausgiebig.

Fein für die Beschuldigten, weniger erquicklich für das österreichische Rechtssystem. „Je länger das dauert, desto schwieriger wird es, einen Sachverhalt herauszuarbeiten“, sagt etwa ein von den langwierigen Causen betroffener Jurist. „Die Zeugenbefragungen stelle ich mir jedenfalls interessant vor. Oder wissen Sie noch genau, mit wem Sie beispielsweise vor sieben Jahren, sieben Wochen und zwei Tagen telefoniert haben?“ Touché.

Und die von solchen Causen erhoffte Präventivwirkung ist auch beim Teufel: „Wenn Ermittlungen so vor sich hin dümpeln, ist doch die Botschaft für jeden klar“, meint der Jurist. „Nämlich, dass eh alles wurscht ist.“

Doch wieso geht bei beiden Causen nichts weiter? Die Gründe sind ebenso vielschichtig wie die „Ermittlungen“ selbst. Jedenfalls gab es sowohl bei Libro als auch bei Yline einerseits eine ungewöhnlich hohe Fluktuation bei den Ermittelnden. Und andererseits Staatsanwälte, die offenbar geneigt sind, die Dinge ein wenig schleifen zu lassen. Sei es aus Überlastung oder Überforderung.

Zum Beispiel Libro: Da ist die Chronologie der Ermittlungen schon reichlich schräg. Kurz nach der Pleite wurde der Grazer Gutachter Fritz Kleiner beauftragt, Licht ins Dunkel der Geschehnisse zu bringen. Ein selbstverständlich mühsames Unterfangen, das aber durch die besonderen Arbeitsbedingungen weiter erschwert wurde: Sämtliche Unterlagen zur Causa – immerhin 700 Aktenordner – mussten im Wiener Archiv des Landeskriminalamtes NÖ bleiben. Als Kleiner, wohl vor allem wegen der geografischen Distanz, dem U-Richter nicht rasch genug vorankam, wurde er Ende 2003 abgelöst. Damit was weitergeht – Treppenwitz der Geschichte.

Dann wurde Gutachter Martin Geyer bestellt – zweieinhalb Jahre nach der Libro-Pleite(!). Er musste sich erst mühsam einlesen, und so etwas dauert natürlich. Hinzu kam, dass die Staatsanwaltschaft ständig auf Neues kam, das es zu untersuchen galt. Im Endeffekt hat Geyer drei Gutachten abgeliefert, das letzte im Frühjahr 2008.

Seitdem „ermittelt“ die Staatsanwaltschaft, wobei sich so manch einer fragt, was es denn noch zu ermitteln gibt. Die Gutachten sind fertig, das Landeskriminalamt hat angeblich schon im Herbst 2007 seinen Abschlussbericht abgeliefert. Woran liegt's also? Ein Insider glaubt's zu wissen: Angeblich haben die Gutachten allein 1,2 Millionen gekostet. Womit die Staatsanwaltschaft ordentlich unter Druck sei: Bei solchen „Ermittlungskosten“ muss bei der Anklage schon ein echter „Hammer“ rauskommen. Und nach dem wird offenbar noch immer verzweifelt gesucht.

Die Suche nach der Wahrheit ist auch bei Yline ziemlich vertrackt. Zuerst war Staatsanwalt Hagen Nordmeyer zuständig. Als der sich beruflich veränderte, übernahm Staatsanwalt Georg Krakow. Dann musste ziemlich lange auf das Gutachten von Thomas Keppert gewartet werden. Der hatte sich nämlich monatelang mit dem Inhalt etlicher Kartons herumplagen müssen, die ihm Kriminalbeamte quasi vor die Füße geschmissen hatten. Darin war alles, was sie bei den Hausdurchsuchungen in die Finger bekommen hatten – Postwurfsendungen inklusive.

Vor fast zwei Jahren hat Keppert das umfangreiche Gutachten der Staatsanwaltschaft überreicht. Doch dort hatte man unterdessen andere Sorgen: Krakow war mit der plötzlich virulent gewordenen Bawag-Krise voll ausgelastet. Und die ging vor – weil sie im Gegensatz zur Causa Yline eine „Haftsache“ war.

Krakow hat den Fall Yline schließlich abgegeben. Das war aber auch schon vor eineinhalb Jahren.

Womit wir beim Problem der Wirtschaftskundigkeit der Staatsanwälte wären: Die sogenannte Wirtschaftsgruppe der Staatsanwaltschaft Wien ist nicht nur chronisch unterbesetzt, echte Wirtschaftsexperten sind dort auch noch rar. Georg Krakow (mittlerweile Oberstaatsanwalt) gilt als Ausnahme, weil er früher beim Möbelhändler Lutz arbeitete und dort Wirtschaftserfahrungen gesammelt hat. Kein Wunder also, dass die Fälle Amis, Brau AG, Yline und Bawag gleich an ihn gingen. Ein bisschen viel für einen.

Anfang 2008 wurde die Wirtschaftsgruppe von sechs auf elf Staatsanwälte aufgestockt. Doch sollen die „Neuen“ – wie in Juristenkreisen moniert wird – vor allem „junge Leute“ sein.

Für den Fall Yline war jedenfalls lange Zeit überhaupt niemand zuständig. Erst vor wenigen Monaten wurde er Staatsanwalt Nummer drei, Michael Radasztics, überantwortet. – Der muss sich natürlich auch erst einmal einlesen.

Auf einen Blick

Die Buchhandelskette Libroschlitterte im Juni 2001 mit Schulden von 334 Mio. Euro in die Pleite. Drei Monate später war das Internet-Unternehmen Yline mit Schulden von 53 Mio. Euro dran. In beiden Fällen wird wegen Bilanzfälschung und Verstößen gegen das Aktienrecht ermittelt. Immer noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2008)

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