Demenz: „In den Schuhen des anderen gehen“

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Die spezielle Kommunikations-form Validation bringt Erleichterung für Demenzpatienten und ihre Betreuer. Für die Kranken bietet diese Methode eine Möglichkeit, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen.

Angehörige von Demenzkranken werden bei der Pflege „ihrer“ Patienten infolge der enormen Belastung häufig selbst krank. „Aber auch für professionelles Personal stellt die Betreuung eine große Belastung dar“, weiß Prim. Dr. Andreas Winkler, Vorstand der Abteilung für Neurologische Geriatrie und Rehabilitation am Haus der Barmherzigkeit in Wien. „Besonders schwierig wird es, wenn in fortgeschrittenen Stadien Verhaltensauffälligkeiten und Aggressionen auftreten.“ Auch Symptome wie Sprachverlust, Desorientierung oder ein ausgeprägter Wandertrieb bedeuten eine große Herausforderung in der Pflege.

Mitgefühl funktioniert immer

Erleichterung für Betroffene und Betreuer vermag die von der amerikanischen Gerontologin Naomi Feil entwickelte Validation zu schaffen. Es handelt sich dabei um eine spezielle Form der Kommunikation, die auch eine menschlich wertschätzende Haltung gegenüber Demenzkranken vermittelt und ihnen die Möglichkeit bietet, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen, ihre Würde wiederzuerlangen und ihren Lebensabend glücklich zu verbringen. „Empathie und Mitgefühl funktionieren immer“, betonte die heute 77-jährige Feil kürzlich bei einem Besuch in Wien auf Einladung von Honeywell Life Safety Austria.

Notlügen funktionieren nicht

Feil wuchs selbst in einem von ihrem Vater geleiteten Altersheim in Cleveland, Ohio, auf und lernte von Kindesbeinen an, mit alten und verwirrten Menschen umzugehen. „Im Kontakt mit Demenzkranken wird meist versucht, sie zu beruhigen. Mitunter werden sogar Notlügen in Kauf genommen, um sie von ihrem bizarren Verhaltensweisen abzulenken – doch das funktioniert nicht“, weiß Feil.

Demenzkranken ist es aufgrund eingeschränkter höherer Hirnfunktionen oft gar nicht mehr möglich, Gefühle wie Angst oder Zuneigung auszudrücken. „Wenn ich aber meine eigenen Gefühle kontrolliere und mich in ihre Lage versetze, wenn ich versuche zu fühlen, was sie fühlen, dann kann ich Zugang zu ihnen finden.“

Die von Feil entwickelte Kommunikationstechnik der Validation wird auch als ein In-den-Schuhen-des-anderen-Gehen bezeichnet. Wie die Videoaufzeichnung eines „Gespräches“ zwischen Feil und einer schwer dementen Patientin demonstriert, schwingt Feil als Validationsanwenderin gleichsam mit den immer wiederkehrenden Lautäußerungen der Patientin mit. Sie passt sich dem Rhythmus der Bewegungen der dementen Frau an, sie atmet in der gleichen Frequenz und singt schließlich mit ihr ein Lied aus Kindertagen. Die zunächst verstört und ängstlich wirkende Frau beruhigt sich zusehends, ihre Gesichtszüge entspannen sich, und sie macht einen zufriedenen Eindruck.

„Natürlich ist Validation keine Heilmethode“, erklärt Feil, „sie ermöglicht es aber, Vertrauen aufzubauen, nimmt damit Ängste und fördert das Wohlbefinden.“ Vor allem das „Ausschütten“ von Gefühlen bedeutet laut Feil eine Erleichterung für demente Menschen. Letztendlich werden dadurch Verhaltensauffälligkeiten reduziert und der Stress der Betreuer verringert.

Verständnis für Demenzkranke

Wie Validation konkret in einer professionellen Betreuungseinrichtung gelebt wird, erklärt Werner Bernreiter, Leiter des SeneCura Sozialzentrums in Grafenwörth (NÖ). „An unserem Haus haben alle Mitarbeiter, von der Pflege bis hin zum Haustechniker, eine Grundausbildung in Validation absolviert. Denn Validation kann nur dann funktionieren, wenn jeder im Haus dem Demenzkranken mit entsprechendem Verständnis begegnet.“

Auch in der baulichen Einrichtung wurde auf die Bedürfnisse der zum Teil hochbetagten und dementen Bewohner eingegangen: Neben Möbeln aus der „guten alten Zeit“ gibt es sichere Rundwanderwege innen und außen, die größtmögliche Bewegungsfreiheit und Sicherheit garantieren. Ganz ohne technische Lösungen funktioniert dies allerdings nicht: So wurde in Zusammenarbeit mit Honeywell Life Safety Austria eine eigene Desorientierten-Uhr entwickelt. Diese Uhr meldet dem jeweiligen Betreuer diskret auf sein Schnurlostelefon, wenn ein dementer Bewohner das Areal verlässt.

Demenzerkrankungen und besonders die Demenz vom Alzheimertyp zählen zu jenen Erkrankungen, die mit der steigenden Lebenserwartung zunehmen. In Österreich litten im Jahr 2000 bereits mehr als 90.000 Personen an einer Form der Demenz, für das Jahr 2050 beläuft sich die Schätzung bereits auf 240.000 Betroffene. Über 80 Prozent der Betroffenen werden von Angehörigen betreut.

MIT DEMENTEN REDEN

Validation nach Naomi Feil gilt heute als eine Standardmethode in der Kommunikation mit alten, dementen und verwirrten Menschen.

Die Methode hilft desorientierten Menschen unter anderem, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen, ihre Würde wiederzuerlangen, ihren Stress zu reduzieren.

Eine Ausbildung zum Validations-Anwender ist an zertifizierten Validations-Organisationen möglich; dies sind in Österreich derzeit der Arbeitersamariterbund in Linz (avo@asb.or.at) sowie das Rote Kreuz in Wien.

Das nächste Einführungsseminar in die Validation mit Naomi Feil findet am 24. und 25. Oktober im Ausbildungszentrum des Wiener Roten Kreuzes statt. Infos: ? 01/795 80-6000, www.w.roteskreuz.at/abz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2008)

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