Ruth Klüger: „Ressentiments sind etwas sehr Gutes“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Literatur-Wissenschaftlerin und Auschwitz-Überlebende („weiter leben“) sprach mit der „Presse“ über ihr neues Erinnerungsbuch „unterwegs verloren“, Obamas Sieg und die Wiener Männerwirtschaft.

Die Presse: Sie stammen aus Wien, wurden ins KZ deportiert, heute kommen Sie wieder häufig hierher. Beschäftigt Sie das österreichische Wahlergebnis?

Ruth Klüger: Nein, über die österreichische Politik weiß ich nichts. Seit ich hier bin, habe ich nur gehört, es gab einen Rechtsruck, und ich denke mir, na und, die Österreicher, die machen halt solche G'schichten. Erst wählen sie den Kreisky, den Juden, dann wählen sie den Waldheim. Irgendwie sind sie immer für Überraschungen gut.

Und wie werden die US-Wahlen ausgehen?

Klüger: Ich bin sicher, wir haben bald einen schwarzen Präsidenten. Das ist fabelhaft, das Beste, was uns passieren kann. Obama wird nicht verlieren, er macht keine Fehler, und bei der Wirtschaftslage kann man sich nicht vorstellen, dass die Partei, die an der Macht ist, noch einmal gewählt wird. Sarah Palin ist eine Ohrfeige für die Feministen, das war eine zynische Wahl von McCain, sich eine so unfähige Frau an Land zu ziehen, nur weil sie eine Frau ist. Ich habe übrigens im Vorwahlkampf für Clinton gestimmt, so feministisch bin ich schon. Aber einen Schwarzen als Präsidenten zu haben, ist auch großartig. Ich kam 1947 nach Amerika, da wurde noch ein Schwarzer in einem der Südstaaten gelyncht.

In „unterwegs verloren“ schreiben Sie über Ihr Leben in Amerika nach dem Krieg, die Schwierigkeiten und Demütigungen, denen Sie als Frau und Jüdin in einer akademischen Männerwelt begegneten, Ihre trostlose Ehe... so, dass man als junge Frau nur froh sein kann, nicht damals und dort gelebt zu haben.

Klüger: Eben darum habe ich es auch in so vielen Details beschrieben, denn der Zug dieses Buchs soll sein, dass es besser geworden ist.

Ihr Buch unterscheidet sich von typischen Memoiren, die eher dazu neigen, altersmilde die Vergangenheit zu verklären. Es ist zornig.

Klüger: Ja, es ist voller Ressentiments. Und ich halte es mit Jean Améry, dass Ressentiments etwas sehr Gutes sind, deretwegen man sich nicht schämen muss.

Gut für einen selbst oder für die anderen?

Klüger (Lacht): Sehr gute Frage – sowohl als auch. Hoffentlich auch fürs Geschriebene, ein verklärtes Ende wollte ich nicht. Das Ende ist mir übrigens nicht ganz leicht gefallen, und ich bin eigentlich stolz auf den letzten Satz, der lautet: „Es ist uns schon schlechter gegangen.“ Aber finden Sie, dass es ein bitteres Buch ist?

Sie vergessen nicht.

Klüger: Eigentlich habe ich viel vergessen – Sie haben ja keine Ahnung, was ich alles weggelassen hab'! Also zum Beispiel, was überhaupt nicht drin steht, weil ich es nicht genau formulieren konnte, das ist die minderwertige Behandlung, die Frauen bei Ärzten und in Spitälern erfahren, die Neigung männlicher Ärzte, Frauen für Hypochonder zu halten. Das ist mir derartig oft passiert – und hat mich ein- oder zweimal fast das Leben gekostet.

Vor wenigen Jahren haben Sie als Gastprofessorin an der Wiener Uni, am Institut für Germanistik, gelehrt – Sie fühlten sich sehr unwillkommen und bezeichnen dieses Semester im Buch als „Paradebeispiel dafür, warum ich Diskriminierung von Juden und von Frauen oft durcheinander bringe“. Hat sich denn in Ihren Augen nichts zum Positiven verändert?

Klüger: Die Frauen an den Unis hier klagen alle! Es ist immer noch eine ziemliche Männerwirtschaft. Die Studentinnen haben mir auch gesagt, dass die Autorinnen, die ich in meinem Kurs behandelt hab', in keinem anderen Kurs vorgekommen sind – dabei waren das berühmte Schriftstellerinnen.

Trotz Ihrer Kritik schrieb der Germanist und Institutsvorstand Wendelin Schmidt-Dengler im „Spectrum“ eine sehr positive Rezension über Ihr Buch.

Klüger: Das fand ich äußerst großzügig und gütig, sodass ich mich fast geschämt habe über das, was ich in meinem Buch gesagt habe. Ich war irgendwie gerührt. Es soll seine letzte Rezension gewesen sein. Und das möchte ich auch betonen, ich weiß, was für ein Verlust sein Tod für die Wiener Germanistik ist, er war der Beste, den sie gehabt haben.

Hat Sie beim Schreiben von „unterwegs verloren“ ein Impuls getrieben wie bei der Entstehung von „weiter leben“ – der Wunsch, sich von unliebsamen Erinnerungen zu befreien?

Klüger: Es ist weniger Befreiung als ein Sich-Rechenschaft-Geben; ich habe alles Mögliche gelernt dabei, über mich. Zum Beispiel, dass ich eigentlich überzeugt bin davon, dass man von der Kindheit nicht loskommt, dass es keinen Neuanfang gibt, nur Fortsetzungen. Das hätte ich, bevor ich das Buch geschrieben habe, nicht so deutlich sagen können. Es hat mich zu Sigmund Freud zurückgeführt, ich bin draufgekommen, dass er mich mehr beeinflusst hat als irgendein anderer Denker.

Die große Freundschaft zwischen Ihnen und Martin Walser ging in die Brüche, als Sie sein Buch „Tod eines Kritikers“ in einem offenen Brief kritisierten. Haben Sie wieder Kontakt?

Klüger: Nein. Und das wird sich nicht mehr ändern, glaube ich. Es ist ein großer Verlust für mich, und ich verstehe es nicht ganz, ich bringe die zwei Seiten nicht zusammen, dass er so überaus sympathisch war so viele Jahre lang, und die Überzeugung, dass dieses Buch von Grund auf falsch ist. Deshalb komme ich in meinem Buch auch ausführlicher darauf zu sprechen, diese zwei Seiten, die ich nicht zusammenbringe, sind für mich paradigmatisch – diese hochkultivierte, hochzivilisierte, für mich literarisch so ansprechende Seite der deutsch-österreichischen Kultur, und auf der anderen Seite diese tief liegende Bosheit, die sich ganz direkt gegen mich als Jüdin richtet. Das werde ich in meinem Leben nicht mehr aufdröseln, das ist einfach da. Und deshalb hab' ich auch meinen amerikanischen Pass dringend nötig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2008)

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