Diadochen-Streit in Serbiens Kirche: Wer wird Patriarch?

(c) Reuters (Marko Djurica)
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Der greise Pavle muss im Amt sterben, die Spaltung zwischen konservativen und moderaten, älteren und jüngeren Bischöfen vermochte auch der konfliktscheue Pavle nicht zu verhindern.

Belgrad. Ein Abtritt zu Lebzeiten ist Serbiens bettlägrigem Patriarchen Pavle nicht vergönnt: Bei ihrer Herbsttagung stimmten die 46 Bischöfe der serbisch-orthodoxen Kirche nach offenbar sehr turbulenten Diskussionen hinter verschlossenen Türen über die mögliche Abdankung ihres Oberhaupts gar nicht erst ab.

Erstens gibt es Zweifel an der Echtheit des vergangenen Monat an den Heiligen Synod – die „Regierung“ der serbischen Orthodoxie – gesandten Rücktrittsgesuchs. Zum anderen hätte die Wahl eines Nachfolgers den Zusammenhalt der Kirche vor eine gehörige Belastungsprobe gestellt. Die Bischofskonferenz sei in zwei Strömungen geteilt, der Kampf um die Macht gehe weiter, kommentierte der Kirchenexperte Mirko Djordjevi? das ergebnislose Stelldichein der vollbärtigen Kirchenfürsten.

Im Dezember 1990, kurz vor dem Zerfall Jugoslawiens, war der heute 94-jährige Pavle etwas überraschend als Nachfolger seines krankheitsbedingt amtsunfähigen Vorgängers German zum 44. Patriarchen gekürt worden. Unter der Ägide Pavles gelang es der Kirche, ihre im sozialistischen Jugoslawien geschwächte Position wieder zu stärken. 90 Prozent der Serben bezeichnen sich mittlerweile als gläubig. In Umfragen rangiert die Kirche mit an der Spitze der vertrauenswürdigsten Institutionen.

Waffensegnungen

Doch grün sind sich die ergrauten Geistlichen nur selten: Die Spaltung zwischen konservativen und moderaten, älteren und jüngeren Bischöfen vermochte auch der konfliktscheue Pavle nicht zu verhindern. Zwar sprach sich der frühere Bischof von Raska und Prizren stets gegen Krieg und Gewalt aus und distanzierte sich von der Idee eines Großserbien.

Doch in seiner Amtszeit marschierten orthodoxe Popen während der Kriege in Bosnien, Kroatien und im Kosovo an die Front und segneten die Waffen. Pavle unternahm auch nichts gegen Bischöfe, die öffentlich ihre Sympathien für international gesuchte Kriegsverbrecher bekundeten. Am Ende des Milosevic-Regimes setzte sich der Patriarch jedoch deutlich von dem Autokraten ab. Bei den Gläubigen ist der asketische Patriarch, der im Gegensatz zu seinen Bischöfen nicht per Dienstwagen, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reisen pflegte, trotz seiner Erkrankung bis heute populär.

Der Herbst des Patriarchen

Seit einem Jahr liegt der bettlägrige Greis im Militärkrankenhaus Belgrad. Schon im Mai wurde der Patriarch von der offiziell nun kollektiv geführten Kirche faktisch entmachtet. Solange Pavle öffentlich auftrat, hatte er Spekulationen über einen Abtritt zu Lebzeiten stets weit von sich gewiesen. Doch nicht nur weil er kaum mehr ansprechbar sein soll, wurden Zweifel an der Echtheit seines Rücktrittsgesuchs laut: Das Dokument gelangte nie an die Öffentlichkeit.

Im Vorfeld der Bischofskonferenz, bei der die Kür eines neuen Patriarchen erwartet worden war, hatte Serbiens Presse tagelang über das Kräfteverhältnis zwischen dogmatischen und eher moderaten Kräften spekuliert. Die Kirche vertagte den Machtstreit nur, der Diadochenstreit wurde keineswegs geschlichtet. Spätestens nach dem Ableben von Pavle wird mit der Wahl eines Nachfolgers auch über den künftigen Kurs entschieden: Wagt die weltweit rund zehn Millionen Gläubige zählende Kirche eine vorsichtige Öffnung – oder schlägt sie einen noch nationalistischeren Kurs als bisher ein?

DIE SERBISCH-ORTHODOXE KIRCHE

Patriarch Pavle (94) steht seit 1990 der serbisch-orthodoxen Kirche vor. Die ihm unterstehenden Bistümer liegen nicht nur in Serbien, sondern etwa auch in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien. Der Bischof für Mitteleuropa residiert im deutschen Hildesheim. Montenegrinische und mazedonische Abspaltungen hat Belgrad nie anerkannt.

Die Wahl eines neuen Patriarchen findet in zwei Schritten statt: Im ersten Wahlgang kann jeder Bischof drei Wahlvorschläge abgeben. Aus den drei am häufigsten genannten Namen wird dann der neue Patriarch ausgelost. Der Losentscheid wird als Fingerzeig Gottes interpretiert. Ein Patriarch amtiert wie der Papst bis zum Lebensende. Einem Rücktritt müssen die Bischöfe zustimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2008)

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