Konjunktur: Lettland mit Sparkurs gegen den Bankrott

Trotz drastischer Einschnitte warten Rekorddefizit und hohe Arbeitslosigkeit auf den baltischen Staat.

Riga. Lettland, das noch im Vorjahr mit Europas rasantestem Wirtschaftswachstum aufgewartet hat, stürzt nun so tief in die Depression wie kein anderes EU-Land. Das Parlament in Riga nahm in der Nacht auf Freitag einen Sparhaushalt an, der trotz dramatischer Einschnitte ein Defizit von fast fünf Prozent des BIP ausweist. Die Arbeitslosigkeit wird im kommenden Jahr auf über zehn Prozent steigen.

Nach zuletzt zweistelligen Wachstumsraten, die vor allem auf durch Kredite finanziertem Konsum und einer Immobilienblase beruhten, kam in diesem Jahr das bittere Erwachen. Im dritten Quartal 2008 sank die Wirtschaftsleistung um 4,6 Prozent, für 2009 erwartet die Regierung ein Minus von fünf Prozent. Doch statt wie andere Länder das Wirtschaftsklima mit Stimulationspaketen anzuheizen, ist die Regierung in Riga zu einem Sparkurs gezwungen, um einen Bankrott zu vermeiden. Das Budgetdefizit wird dennoch 2009 bei 4,9 und 2010 bei 4,8 Prozent des BIP liegen. Sollte sich zeigen, dass es noch weiter wächst, werde man zusätzliche Kürzungen vornehmen, sagte Premier Ivars Godmanis und rechtfertigte den Sparkurs: „Wenn wir jetzt nicht reagieren, geht uns schon im März das Geld aus.“

Schweden: „Besetzt Lettland!“

Die Regierung verhandelt mit dem Internationalen Währungsfonds und der EU über ein Stützpaket, dem sich auch Schweden und die übrigen skandinavischen Staaten anschließen wollen. Schwedische Banken kontrollieren zwei Drittel der baltischen Finanzmärkte, weshalb die Regierung in Stockholm zu Hilfen bereit ist, um einen Zusammenbruch in Lettland zu verhindern. Finanzminister Atis Slakteris bezifferte den Finanzbedarf auf fünf Mrd. Euro, das Ratinginstitut Fitch meint, Lettland könne 13,5 Mrd. Euro benötigen.

Um die Bedingungen des Währungsfonds für die Hilfe zu erfüllen, setzt die Regierung bei all ihren Programmen den Rotstift an und will bis zu 25 Prozent der Ausgaben einsparen. Nur der Gesundheitssektor, Renten und Elterngeld werden ausgeklammert, sagte Godmanis. Durch Entlassungen und Gehaltssenkungen sollen die Lohnausgaben im öffentlichen Sektor um 15 Prozent reduziert werden. Die Einkommensteuer wird von 25 auf 23 Prozent vermindert, im Gegenzug die Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent angehoben.

Die 20-stündige Budgetdebatte wurde von heftigen Protesten vor dem Parlament begleitet. Öffentlich Angestellte wehrten sich gegen die angekündigten Lohnkürzungen, Hoteleigner befürchten eine Pleitewelle. Die Einigung sei entscheidend gewesen, „ob wir in ein paar Monaten noch existieren oder als Bettler in Russland vorstellig werden müssen“, sagte Ex-Außenministerin Sandra Kalniete. Eine im Internet lancierte Petition an Schweden, „Lettland zu besetzen“, erhielt innerhalb weniger Stunden mehr als 6500 Unterschriften.

Inflation fällt rasch

Die einzig positive Entwicklung: Die Inflation, die im Vorjahr noch 16,4 Prozent betragen hat, soll 2009 wegen der Rezession auf unter sechs Prozent fallen. „Ab 2010“will sich Lettland wieder um das Erreichen der Maastricht-Kriterien bemühen, 2011 erhofft der Baltenstaat eine Einladung in die Euro-Runde. Bis dahin, so der Plan der Regierung, soll auch das Budgetdefizit wieder auf 2,8 Prozent gesunken sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2008)

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