Bethlehem: Wo Christen als Sünder gelten

(c) AP (Kevin Frayer)
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Immer mehr Christen verlassen die Geburtsstadt Jesu, gemobbt von intoleranten Muslimen und bedrängt von der Wirtschafts-Misere. Bethlehem ist längst eine moslemische Stadt geworden.

BETHLEHEM. Pater Artemios beobachtet mit wachsamen Augen die christlichen Pilger, die in die Geburtskirche in Bethlehem strömen. Tausende Besucher zieht es jetzt in der Weihnachtszeit hierher, an den Ort, wo vor 2008 Jahren Jesus Christus geboren worden sein soll. Bethlehem im palästinensischen Westjordanland hat sich mit Lichtern und Weihnachtsschmuck herausgeputzt. Überlebensgroße Nikolause, aus Olivenholz geschnitzte Krippen und blinkende Christbäume schmücken die Straßen der Altstadt und den Platz vor der Geburtskirche.

Doch der christliche Schein trügt. Bethlehem ist längst eine moslemische Stadt geworden. Pater Artemios seufzt und streicht sein schwarzes Gewand glatt. Er will diplomatisch sein und keinen Unmut schüren. „Christen fühlen sich einfach nicht mehr wohl hier“, sagt er schließlich. „Allein seit dem Jahr 2000 hat sich unsere christliche Gemeinschaft halbiert.“ Christen stellen nur noch zwölf Prozent der Bevölkerung. 1950 waren es noch 86 Prozent.

Der dramatische Exodus ist nicht nur eine Reaktion auf die israelische Besatzung, die das wirtschaftliche Leben erschwert und jungen Christen kaum Zukunftschancen bietet. Mit Auswanderung reagiert die christliche Minderheit auch auf die Spannungen mit der moslemischen Bevölkerung. „Die junge Generation hört in den Moscheen, dass Christen Kreuzfahrer seien, Trinker, Atheisten und Verräter an der palästinensischen Sache“, sagt Pater Artemios. Und zwischen palästinensischen und westlichen Christen werde meist nicht unterschieden.

Palästinensische „Mafia“

„Die Abwanderung ist ein Albtraum“, sagt Samir Qumsieh, der den christlichen TV-Sender Nativity (Geburt) betreibt. „In 15 Jahren wird es im Heiligen Land keine Christen mehr geben.“ Qumsiehs Familie, eine der ältesten und größten in Bethlehem, ist das beste Beispiel: Von seinen fünf Brüdern ist außer ihm nur einer in Bethlehem geblieben. Und dessen drei Kinder leben auch bereits im Ausland. Qumsiehs Sohn ist nach dem Studium aus den USA nicht zurückgekehrt. Seine Tochter wird in Paris studieren. „Es würde mich wundern, wenn sie zurückkäme.“

Dabei hat der 60-jährige, fein gekleidete Herr alles getan, um die christliche Minderheit in Bethlehem zu halten. In seinem Haus auf der Spitze eines Hügels rund 300 Meter Luftlinie von der Geburtskirche entfernt, hat er einen christlichen Sender aufgebaut, der die Identität der Christen im Heiligen Land stärken sollte. Gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde und moslemischen Würdenträgern hat er sich stets für seine Gemeinschaft starkgemacht. Doch die Probleme wachsen schneller als die Lösungen.

Von 250 Fällen illegaler Landnahme berichtet Qumsieh. „Es gibt hier eine gefährliche Mafia, die es auf christlichen Landbesitz abgesehen hat und die mit Einschüchterung und Gewalt vorgeht“, so Qumsieh. Mit gefälschten Papieren erheben sie Anspruch auf Grundstücke von Christen, und bis ein solcher Konflikt gerichtlich geklärt sei, vergehen zehn Jahre, in denen mit neuen Gebäuden und Weiterverkauf längst Fakten geschaffen würden. „Das hat es früher nie gegeben, nicht mal unter den Israelis.“

Nun ist Qumsieh gespannt, wie die Autonomiebehörde auf seine neueste Beschwerde reagiert. Er hat sie aufgefordert, gegen radikale Imame stärker vorzugehen. Als „sündige Kreaturen“ bezeichnete ein Bethlehemer Imam Ende November Christen und Juden, und zwar über Lautsprecher, wie es bei den Freitagspredigten üblich ist.

„So etwas ist nie passiert“, behauptet Salah Shewoke, Stadtrat der radikalislamischen Hamas in Bethlehem. „Christen und Muslime leben in dieser Stadt in Frieden miteinander. Es gibt keinerlei Probleme zwischen uns.“ Dass die Freitagspredigten über Lautsprecher übertragen werden, sogar von der Moschee direkt gegenüber der Geburtskirche, sei nur deshalb nötig, weil viele mangels Platz draußen beten müssten. Und die Christen seien mit ihren Glocken schließlich auch laut.

Schwarze Zukunft

Doch wahrscheinlich nicht mehr lange. „Schon bald werden die Kirchen in Bethlehem kalt und leer sein“, prophezeit Qumsieh. Auch ihn selbst hält nicht mehr viel in seiner Heimatstadt Bethlehem.

Als Speerspitze der christlichen Minderheit hat er sich nicht beliebt gemacht. In seinen Garten sind bereits Molotow-Cocktails geflogen. Und sein christlicher Sender Nativity steht kurz vor der Pleite. „Ich sehe für unsere Zukunft schwarz“, sagt er. „Alles andere wäre eine Lüge.“

HINTERGRUND

Bethlehem, die GeburtsstadtJesu, befindet sich im palästinensischen Westjordanland, das Israel seit 1967 besetzt hält. Die Stadt hat knapp 30.000 Einwohner. Der Anteil der Christen geht drastisch zurück. 1950 stellten die Christen noch 86 Prozent der Bevölkerung. Heute sind es nur noch zwölf Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2008)

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