Mitterlehners liberalere Volkspartei

Reinhold Mitterlehner
Reinhold Mitterlehner(c) Clemens Fabry
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Nach den konservativen Spindelegger-Jahren ist die Partei nun wieder offener. Heikle Themen werden dabei jedoch ausgelagert.

„Ja, ich bin's, der echte Reinhold Mitterlehner“, lauteten seine ersten Worte. Seit Freitag ist auch der ÖVP-Chef auf Twitter. Was jedoch weniger damit zu tun hat, dass die Neos diese Plattform in den vergangenen Wochen beherrscht haben wie keine andere Partei – mit der Cannabis-Debatte, die ihnen hier viel Zuspruch eingebracht hat, und mit der Zwölf-Stunden-Arbeitstag-Debatte, die hier auf großen Widerstand gestoßen ist. Sondern vielmehr mit dem heutigen ÖVP-Parteitag - DiePresse.com wird ab 10 Uhr live berichten. Reinhold Mitterlehners Twitter-Premiere war schon länger für diesen Zeitpunkt geplant.

Als Michael Spindelegger 2011 ÖVP-Obmann wurde, gab es die Neos noch nicht. Für Mitterlehner sind die pinkfarbenen Liberalen von Beginn seiner Obmannschaft an ein ernsthafter Konkurrent im bürgerlichen Lager, der die entscheidenden Prozentpunkte im Kampf um Platz eins kosten könnte. Daher ist die Mitterlehner-ÖVP nun auch liberaler ausgerichtet als die Spindelegger-ÖVP.

Dies ist allerdings nicht nur taktischen Gründen geschuldet. Denn Mitterlehner unterscheidet sich schon als Person deutlich von Michael Spindelegger, dem konservativen Christlich-Sozialen. Mitterlehner ist zwar auch CVer und als Wirtschaftskammer-Funktionär in der Sozialpartnerschaft groß geworden, dennoch darf er innerhalb der ÖVP zum liberalen Flügel gezählt werden.
Vor allem auch gesellschaftspolitisch. Zur Gesamtschule oder zu weiteren Rechten für Homosexuelle wie Adoption von Kindern sagt er nicht kategorisch Nein. Man werde sich das alles in Ruhe und ohne Scheuklappen ansehen, so Mitterlehners Credo.

Weg von der Klientelpolitik

Überhaupt will er die ÖVP weg vom Image einer Klientelpartei bringen. Diese dürfe nicht mehr nur als Partei der Bewahrer wahrgenommen werden. Mit dem einkalkulierten Risiko, dass man auf diesem Weg auch Anhänger verlieren könnte. Und jeder Minister, so Mitterlehners Mantra in internen Sitzungen, müsse sich bei jedem Gesetz die Frage stellen, was der Bürger davon habe.

Leichter gesagt als getan. Einen Vorteil hat Mitterlehner allerdings. Die Partei, noch berauscht von der Aufbruchsstimmung, die auch mit guten Umfragewerten einhergeht – die ÖVP liegt mit der SPÖ wieder Kopf an Kopf –, zieht mit. Den Landeshauptmann Oberösterreichs, Josef Pühringer, hat der Mühlviertler sowieso auf seiner Seite. Aber auch die Vertreter der Westachse, Markus Wallner (Vorarlberg), Günther Platter (Tirol) und Wilfried Haslauer (Salzburg), haben mit ihm wesentlich mehr Freude als mit seinem Vorgänger. Erwin Pröll, der diesmal bei der Parteiobmannkür mehr oder weniger übergangen wurde, schaut sich das Ganze nun einmal an. Aber auch er hält – vorerst – still.

Die Kommunikation in seiner Partei hat Mitterlehner gebündelt, seine Sprecherin, Waltraud Kaserer, hält hier die Zügel relativ streng in der Hand. Unabgesprochene Ministerausritte sind unerwünscht, Konflikte sollen nur noch intern ausgetragen werden.

Reinhold Mitterlehner selbst vermittelt das, was man bei Spindelegger vermisst hat: den Zug zum Tor. Machtbewusst, bestimmt, aber mit augenzwinkernd eingestreuten Bonmots aufgelockert.

Frauenquote in der Volkspartei?

Auch um die Bünde-Obleute bemüht er sich. Lag Spindelegger etwa mit der ÖVP-Frauenvorsitzenden Dorothea Schittenhelm im Dauerclinch, so ließ Mitterlehner ausrichten, dass er sich mit ihrer Forderung nach einer Frauenquote auf ÖVP-Wahllisten durchaus anfreunden kann. Allerdings – wie bei fast allem und jedem macht Mitterlehner auch hier seinen Einserschmäh: Dies werde im Zuge des Evolutionsprozesses geklärt. Im Klartext: Heikle Dinge werden nun allesamt dorthin verräumt. An dessen Ende dann im Mai 2015 ein Programmparteitag stehen wird. Weswegen der Programmatik heute in der Wiener „Meta-Stadt“ kaum Stellenwert eingeräumt wird. Es soll ein reiner Krönungsparteitag werden.

Ein Ziel hat Reinhold Mitterlehner aber schon mehrfach vorgegeben – und ÖVP-Spitzenpolitiker wie sein Staatssekretär Harald Mahrer haben es auch schon eifrig hinaus in die Welt getragen: Die ÖVP müsse künftig eine „Sinngemeinschaft“ sein. Soll heißen: Nicht Bünde- oder Klientelinteressen halten die Partei zusammen, sondern gemeinsame Werte. Man darf gespannt sein, ob zu den Klassikern wie Eigenverantwortung, Leistung, Solidarität und Subsidiarität im Zuge des Evolutionsprozesses noch andere hinzukommen.

Zur Person

Reinhold Mitterlehner, geboren am 10. Dezember 1955 in Helfenberg in Oberösterreich, ist seit 2008 Wirtschaftsminister. 2013 übernahm er zusätzlich die Wissenschaftsagenden. Seit 26. August 2014, nach dem Rücktritt von Michael Spindelegger, ist er designierter Bundesparteiobmann der ÖVP, am 1. September wurde er als Vizekanzler angelobt.

Der Mühlviertler ist Jurist und begann seine Karriere in der Wirtschaftskammer, dessen Generalsekretär er auch war. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2014)

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