Slowenien: Die Naturweinbauern der „hinteren Ecken“

Weinlese in Hamburg
Weinlese in HamburgAPA/dpa
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Die Goriška Brda erinnern an die Toskana. Aber hier findet man, was dort längst abhandengekommen ist: Ursprünglichkeit – und neuerdings wieder orange Weine ohne Hefen, ohne Enzyme, ohne Zucker, ohne Schwefel.

Schon beim Eintreten stellt sich dieses Gefühl von Heimkommen ein, Heimkommen in ein imaginäres, irgendwo im Unterbewusstsein gespeichertes Zuhause. Die alten Holzböden, die Leinentischdecken, die Häkelvorhänge, die aufgereihten Flaschen mit Selbstgebranntem, die Weckgläser mit getrockneten Steinpilzen, die Marmelade- und Honigtöpfe – all das erhebt die Domačija Novak weit über das Normalmaß eines Wirtshauses hinaus.

Der Strudelteig wurde gerade vor Eintreffen der Gäste ausgewalkt und liegt nun zum Rasten auf einem der Tische. Und die Zucchiniblüte, gefüllt mit cremigem Ricotta, die jetzt als warme Vorspeise aufgetragen wird, lag bis vor ein paar Tagen noch hinter dem Weidenzaun im Garten. Bei Boris und Miriam Novak wird nichts inszeniert, eher vorgezeigt, wie es sich vom und auf dem Land lässig leben lässt. „Wir bauen fünf verschiedene Sorten Kartoffel an und mehrere Arten von Spargel, auch den violetten“, sagt Boris. Die Forelle räuchert Sohn Jan über der Buchenholzkohle und gibt Zweige vom Obstbaumschnitt dazu. Die erzeugen dieses ganz spezielle Aroma, für das die Forelle à la Novak berühmt ist.

Uralte, autochthone Rebsorten

Die Ribolla gialla, die Boris nun in die bauchigen Gläser gießt, wäre, so leuchtend und bernsteinfarben wie sie ist, die Freude jedes Whisky-Trinkers. Mit Weißwein hat sie wenig gemein. „Es ist ein Wein, in den man hineintrinken muss“, sagt Boris. „Den muss man sich er-trin-ken. Die orange Farbe kommt daher, dass die Trauben nicht gepresst und nicht filtriert werden, sondern nach der Ernte auf der Maische liegen bleiben, bis die Gärung einsetzt. Durch den Kontakt mit der Schale entsteht dieses Orange, dieser Amberton“, erklärt er.

„Keine Hefen, keine Enzyme, kein Zucker, kein Schwefel. Einfach den Wein geschehen lassen“, sinniert Boris weiter. „Die Trauben in die Amphore schütten, wie einst die alten Griechen, Deckel drauf und ein halbes Jahr nichts tun. Dann reinschauen und siehe da: Es ist Wein! So einfach geht das!“ lacht Boris. „Das bedeutet aber nicht, dass die Winzer jetzt ihre Hände in den Schoß legen. Im Gegenteil, jeder von ihnen betreibt seinen Job wie ein Kunsthandwerker.“ Und wie zum Beweis nimmt Boris uns am nächsten Tag mit auf Einkaufstour zu den Naturweinbauern.

San Floriano im slowenisch-italienischen Grenzland. Boris parkt das Auto vor der Paraschos-Winery. Das Haus thront majestätisch am Hang, der Ausblick überwältigt. „Das ist das Vipava-Tal“, sagt Alexis Paraschos, Sohn eines Griechen und einer Slowenin. „Da, hinter dem Berg, liegt das Soča-Tal. Und zehn Minuten von hier beginnt das Meer.“ Die kühle Luft von den Alpen im Sommer und die von der Adria aufsteigenden milden Temperaturen im Winter wären genau richtig für naturbelassene Weine. „Und was du noch brauchst“, lacht Alexis, „sind schlechte Böden. Die Trauben müssen langsam reifen. Weniger Blätter am Rebstock bedeuten eine bessere Durchlüftung. Jene Lagen, die von der Bora so richtig durchgeblasen werden, waren für die Umstellung auf biodynamischen Weinbau am besten geeignet.“

Nicht umsonst nahm hier vor 15 Jahren die Orange-Wine-Bewegung ihren Anfang, wir befinden uns sozusagen im Epizentrum. Nach den Pionieren Joško Gravner und Stanko Radikon haben auch andere damit aufgehört, Sulfide einzusetzen. „Seit 2003 nichts!“, erklärt Alexis. „Keine chemischen oder synthetischen Mittel, weder im Weingarten noch im Keller.“

Kein Geld für Schwefel

„Orange Weine hat es bei uns immer schon gegeben. Mein Großvater hätte gar nicht das Geld gehabt, Sulfite und Pestizide anzuschaffen“, sagt Aleks Klinec. Zwischen Mangel und bewusstem Verzicht ist offenbar ein schmaler Grat. Wir befinden uns jetzt in Medana in der Goriška Brda, jener Gegend Sloweniens, die gern mit der Toskana verglichen wird, weil Reisende hier finden, was ihnen dort längst abhandengekommen ist. Klinec bewirtet uns auf der Terrasse, die in das Meer von Rebstöcken rund um sein Haus hineinragt. Der joviale Bärtige verkörpert am besten den Geist der Orange-Wein-Bewegung: In die Vergangenheit zurückschauen und dabei zur Avantgarde werden, das ist es, was er ausstrahlt. Seine Cuvée Orthodox 2006 aus Verduc, Rebula, Jakot (Tokai Friulano) und Malvasia ist eine Wucht – mehr als sechs Jahre im Fass. Da sammeln sich eine Menge Kraft und Aromen an.

Aleks zeigt eine Fotokopie aus einem Buch, die belegt, dass bereits Maria Theresia 1785 die Weinlagen in der Goriška Brda klassifizieren ließ. Lang vor Bordeaux also, dort geschah es erst 1855. Ein Triumph! Malvasia, Vitovska, Rebula, Tokai Friulano, Refosc und Teran, so heißen die uralten autochthonen Rebsorten, und dass die Naturweinproduzenten sie den Chardonnays und Rieslings vorziehen, ist wohl nur natürlich. Man rückt dem Terroir noch ein Stück näher und fördert das zutage, was die Gegend unverwechselbar macht. „From soil into the heart“, so der Wahlspruch der Kabaj-Winery in Šlovrenc, dem nächsten Ziel unserer Tour. Mit seiner ockerfarbenen Fassade und dem roten Ziegeldach wirkt das Anwesen wie ein provenąalisches Landgut. Tatsächlich kommt der Hausherr aus Frankreich, was auch den verfeinerten Stil der Brda cuisine erklärt, die seine Frau nach alten Rezepten in der guten Stube auftragen lässt. Neben der Einfahrt prangt eine Schiefertafel: „No Coca-Cola, No Pommes frites, No Pizza.“ Eine Warnung an Gäste aus Übersee? 96 Prozent der Kabaj-Produktion geht ins Ausland, in die USA, nach Israel, Asien und Dubai. In Europa besteht außerhalb Sloweniens kaum eine Chance, das Sortiment kennenzulernen. Wer die Weine verkosten will, muss sich schon auf den Weg machen in die „hinteren Ecken“, wie die Goriška Brda zu k. u. k Zeiten hieß.

Auch Uroš Rojac wurde als eine der „versteckten Perlen“ Europas ins Portfolio des New Yorker Importeurs Indie Wineries aufgenommen. Sein Weingut liegt idyllisch im Norden Istriens, wo Karst und Collio aneinandergrenzen. Uroš ist Winzer mit Biotechnologiediplom, einst das Enfant terrible der Familie, das sein Motorrad gegen den Traktor eingetauscht hat. „Ich lebe nicht, um Profit zu machen“, sagt er. „Ich lebe, um ein gutes Leben zu führen und meinen Kindern beizubringen, wie man ein gutes Leben führt.“ Gut steht dabei nicht für Überfluss, sondern eher für Verzicht. „Alles war immer schon hier“, meint er auf seine Methode zu keltern angesprochen. „Wir haben es zeitweilig nur verloren.“

ORANGE WINES VERKOSTEN, IM DESIGNERBAUMHAUS HIMMLISCH SCHLAFEN

Domačija Novak, Sadinja vas pri Dvoru 7, 8361 Dvor, +386/413 43 00; novakdoma.eu;
Paraschos, Weingut, Bucuie 13/a, 34070 San Floriano del Collio, +39/0481/88 41 54, paraschos.it
Aleks Klinec. Medana 20, Dobrovo v Brdih; +386/5/304 50 92; klinec.si

Agrotourismo Domačija Kabaj, Katja und Jean Morel, Dobrovo, ?lovrenc 4; +386/5/395 95 60; kabaj.si
Rojac, Weingut, Gažon 63/a, ?marje, +386/5/656 94 20
Weingut Cotar, Weingut und Wirtshaus, Gorjansko 18, +386/5/766 82 28; cotar.si

Schlafen: Unbedingt Station machen im Hiša Raduha in Luče nahe der österreichischen Grenze. Martina und Matjaž Breznik bieten zusätzlich zu den klassischen Zimmern himmlische Nächte im neuen Designerbaumhaus. Hiša Raduha, Luče 67, +386/3/838 40 00; raduha.com.

Infos: Die Autorin wurde vom Slowenischen Tourismusbüro unterstützt. 01/715 40 10; slovenia.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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