"Killerspiele" und Gewalt: Zusammenhang oder Sündenbock?

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AP VM DEU DEU COMPUTER LANPARTY(c) AP (Joerg Sarbach)
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Der Amoklauf von Winnenden hat erneut die Debatte rund um Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten entflammt. Weltweit werden Millionen solcher Spiele verkauft.

Wie nach jeder Gewalttat, wird schnell nach Gründen und Motiven gesucht. In Deutschland geraten in diesem Zusammenhang Computerspiele immer wieder in das Zentrum der öffentlichen Diskussion. Nach dem Amoklauf von Winnenden hieß es seitens der Polizei, der Täter hätte "viel Zeit mit Gewaltspielen" verbracht. Wenig später flammten bereits Diskussionen zu dem Thema auf. Die in diesem Zusammenhang "üblichen Verdächtigen" unter den Spielen haben sich weltweit millionenfach verkauft. Gibt es also weltweit Millionen schlummernde Amokläufer?

Schnellschuss: Komplettes Verbot

Der Präsident der Deutschen Stiftung für Verbrechensbekämpfung, Hans-Dieter Schwind, forderte kurzerhand ein totales Verbot von Computerspielen mit gewalttätigem Inhalt und eine Verschärfung des Waffenrechts. Dass der 17-Jährige auf seiner Flucht um sich geschossen habe, hätte er aus Spielen wie Counter-Strike oder Crysis gelernt. Dass Jugendliche so ein Verhalten auch aus diversen Actionfilmen lernen können, verschwieg Schwind. Immerhin erwähnte er in einem Gespräch mit der Osnabrücker Zeitung, die Eskalation würde sich auch "auf eine länger aufgestaute Wut und fehlende Ventilfunktion" begründen.

Ähnliche Reaktionen wie nach Erfurt

Der Fall Winnenden löst etliche Deja-Vus aus. Bereits 2002 kam es nach dem Amoklauf von Erfurt zu Diskussionen über Computerspiele. Wenige Wochen nach dem Vorfall wurden das Jugendschutzgesetz und das Waffengesetz in Deutschland geändert. Damals starben 17 Menschen. Im Endeffekt erschien es aber so, dass nicht Computerspiele, sondern ein Schulverweis der Auslöser für den Amoklauf gewesen waren. Vier Jahre später schoss ein 18-Jähriger in Emsdetten wahllos um sich und nahm sich anschließend das Leben. Auch hier wurden schnell "Killerspiele" als mögliches Motiv hervorgezerrt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Täter aber Opfer von jahrelangem Mobbing durch seine Mitschüler. Ob seine Gewaltbereitschaft durch brutale Computerspiele erhöht worden war, konnte nicht geklärt werden.

Gewaltspiele sind Bestseller

Spiele mit gewalttätigem Inhalt werden millionenfach verkauft. Counter-Strike verkaufte sich weltweit 4,2 Millionen mal, Counter-Strike: Source 2,1 Millionen mal, Crysis 1,5 Millionen mal, das auf Konsolen sehr erfolgreiche Grand Theft Auto IV sogar 10 Millionen mal (Stand: August 2008). Einige Spiele mit gewalttätigem Inhalt bereiten diesen mit einem Schuss Selbstironie auf, viele andere wollen aber möglichst realistisch wirken. So oder so bleibt es eine Tatsache, dass sich Spiele mit expliziter Gewaltdarstellung oft auf den Bestsellerlisten finden.

Zusammenhänge nicht eindeutig

Man kann nicht ausschließen, dass gewalttätige Spiele auf labile Persönlichkeiten einen schädlichen Einfluss haben. Kunczik und Zipfel (2006) stellten fest, dass unter bestimmten Voraussetzungen gewalttätige Medieninhalte, zu denen auch Berichterstattung über reale Gewalt zählt, zur Steigerung der Gewaltbereitschaft führen können. Allerdings konnte eine in Ausgabe 13/2007 von Psychologie, Crime & Law veröffentlichte Studie keinen Zusammenhang zwischen der Benutzung von "Killerspielen" und einem gesteigerten Gewaltpotential herstellen.

Studie falsch interpretiert

In einer Stellungnahme im deutschen Online-Magazin Telepolis erklären zwei Gutachter der deutschen Unterhaltunssoftware Selbstkontrolle (USK), dass sich kein schädlicher Einfluss von Computerspielen nachweisen lässt. Dabei nehmen sie Bezug auf eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) von Professor Christian Pfeiffer, die gerne von deutschen Medien zitiert wird. Fälschlicherweise, so die Gutachter, würde mit der Studie ein Zusammenhang zwischen Computerspielen und Jugendgewalt hergestellt werden.

"Killerspiele" im Kindergarten

Gewalt ist der Menschheit seit Anbeginn inherent. Jedes Kind, das im Kindergarten "Räuber und Gendarm" spielt, spielt streng genommen ein Gewaltspiel: "Peng, du bist tot!" Mit jedem Schuss einer Wasserpistole begeht ein Kind in seiner Fantasie einen Gewaltakt. Wichtig ist dabei aber immer genau dieser eine Aspekt: Fantasie. Spiele jeglicher Art, sei es am Computer oder im Kindergarten, finden auf einer fiktiven Ebene statt. Solange das Kind in der Lage ist, Realität und Spiel zu trennen, besteht wenig Gefahr, einen neuen Amokläufer heranzuzüchten. Problematischer wird es, wenn Kinder und Jugendliche kein ausreichendes soziales Auffangnetz haben. Sei es, weil die Eltern überfordert sind, oder aber in der Schule gemobbt wird.

Deutschland verbietet, Österreich empfiehlt

Deutschland geht seit jeher den Weg des Verbots in Sachen gewalttätiger Computerspielen. Genau wie eine Alterskennzeichnung erhöht das aber nach Ansicht einiger Forscher nur den Reiz dieser Spiele. In Österreich wird ein anderer Weg eingeschlagen: Hier gibt es die Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (BuPP). Sie veröffentlicht regelmäßig Empfehlungen für Computerspiele, die einen positiven und pädagogischen Wert für Kinder und Jugendliche haben. Letztes Regulativ sind aber immer die Eltern, die ein Auge darauf haben sollten, ob ihre Kinder Spiele besitzen, die nicht für sie geeignet sind.

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