Ostlicht: Bei Ulrich Seidl ist meist Passion im Spiel

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

In der Galerie für Fotografie sind gut 60 Standbilder (Stills) aus acht berühmten Filmen des österreichischen Regisseurs seit 1998 zu sehen. Sie verdeutlichen in reduzierter Form, welch scharf analytischen Blick dieser Künstler hat.

Warum verwendet Ulrich Seidl in seinen Bildern so häufig die Zentralperspektive? Das hänge vielleicht mit seiner religiösen Erziehung, seiner Vergangenheit zusammen, erwidert der österreichische Filmregisseur am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in der Foto-Galerie Ostlicht auf diese Frage der „Presse“. Und schon sieht der Betrachter überall Kreuze: In der Architektur, in den Posen eines Mannes mit dickem Bauch und ausgestreckten Armen beim Sonnenbad, bei Pärchen, die in anstrengenden Stellungen kopulieren. Auch richtige Kreuze – wenn zum Beispiel Maria Hofstätter in „Paradies: Glaube“ (2012) fromm unter einem Kruzifix samt Heiland auf ihrem Bette ruht. So viel Symmetrie!

Seidl präsentiert in der Galerie in Favoriten gut 60 Stills aus Filmen von 1998 bis 2014 – aus „Models“, „Hundstage“, „Brüder, lasst uns lustig sein“, „Import Export“ und der „Paradies“-Trilogie, bis zum Aufsehen erregenden „Im Keller“. Aus diesem jüngsten Werk, das in Venedig Premiere hatte, stammen die größten Formate im Hauptraum, dazu ist auch ein breiter Bildband erschienen (Verlag Benteli, 168 Seiten, 39,90 Euro). Diese Bilder sind aus digitalem, die meisten aus den früheren Filmen aus analogem Material. Letztere sind beträchtlich kleiner, aber von ebenso großer Wirkung, wie das schon die „Paradies“-Bilder gleich zu Beginn der Schau, noch im Bereich der Bar, beweisen.

Großer Akt: Nackte unterm Moskitonetz

Beim Betrachten der Tableaus, die nicht extra verfertigte Set-Fotos sind, sondern tatsächlich aus dem Film genommen wurden, stellt sich ein befremdender Effekt ein. Kennt man den Film, ist die Erinnerung an die betreffende Szene schlagartig wieder da. Es sind ausschließlich starke Momentaufnahmen, die man einem meist bizarren Geschehen zuordnet. Zugleich aber signalisiert diese gefrorene Bilderwelt mit ihrer hautengen Nähe nicht nur die erinnerten Verletzungen von Intimsphären, sondern schafft zugleich Distanz.

Ganz bewusst setzen sich Menschen hier unverstellt einem kalten Blick aus. Dem Blick eines Künstlers, der selbst anscheinend Unschönes perfekt ästhetisiert. Das Foto einer korpulenten, nackten Frau auf einer Matratze unter einem Moskitonetz (aus „Paradies: Liebe“) könnte mit einem großen niederländischen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert konkurrieren. Ein Paar mittleren Alters, das im Keller ganz zentral, aber ausdruckslos inmitten seiner afrikanischen Jagdtrophäen posiert, verleitet zu ikonografischen Deutungsversuchen. Was sagen uns all die Hörner und Köpfe erlegter Antilopen, die exotische Landkarte, das aufgerichtete Äffchen im toten Winkel des Jägers oder gar die Raubtierfelle, auf denen diese nur auf den ersten Blick biederen Bürger thronen? Viele der Stills wirken am Ende brutaler als Seidls behutsam gefilmte, bewegte Dokumente. Er sei als Filmer ein Fotograf, bemerkt Peter Coeln, der Gründer von Ostlicht, der die Schau konzipiert und auch die Bilder ausgewählt hat.

An der Nähe zu Menschen gescheitert

Seidl, der als Fotograf begonnen hat, gesteht daraufhin das Problem bei seinen Anfängen: „Ich bin nichts geworden, also wurde ich Filmemacher.“ Das reizt zu einer weiteren Frage: Woran hat es ihm als Fotograf gemangelt? „Ich bin an der Nähe zu den Menschen gescheitert.“ Bei der Reportage (die allein habe ihn interessiert) müsse man die Leute überraschen. „Das habe ich nicht geschafft“, sagt der Künstler. Für die Filme habe er hingegen lange Vorbereitungszeiten, er lerne dabei die Leute kennen. Erst wenn sich dabei Vertrauen einstellt, beginnt das Filmen in diesen Privatsphären, die sich für Seidls Welt bereitwillig öffnen, das Geheime offenbaren. Die Standbilder aber erzählen dann eine andere, fokussierte Geschichte, wenn man den Film aus dem Gedächtnis blendet.

Leidend, mit gestrecktem Kreuz

Etwa wenn Alte und Kranke („Import Export“, 2007) unter Neonlicht in grünlichem Schein liegen. Der Raum um sie ist halbdunkel. Man möchte meinen, die Menschen in diesem Triptychon seien bereits tot, würde nicht die Frau in der Mitte ihren Kopf leicht heben. Oder: Wenn Menschen ihren Vorlieben nachgehen, einmal als Modellbahn-Gott, sehr oft sexuell – allein, zu zweit oder im Rudel, im Sado-Maso-Keller, vor der Palmen-Tapete oder im Freien. Wie Bastelarbeiten, auch wie Mühen des Sisyphos sehen manche Szenen aus, mit gepeitschten, in einen engen Käfig gesteckten oder schlicht gelangweilten Menschen. Der nackte Sklave, dick und dicht behaart, liegt hier für immer bereit, mit Riemen an Balken des Bettes fixiert, ein roter Trichter steckt in seinem Mund, der Mann ist fertig für die nächste Erniedrigung. Oder: Wenn dicke Jugendliche in weißer Sportkleidung mit teils entblößten Bäuchen an der Sprossenwand hängen („Paradies: Hoffnung“). Wer hat sie dort hinbefohlen? Was treibt sie an? Im Bild sieht man viele Leidensgeschichten. Zentral in diesem abstrakten Raum hängt der Mensch mit gestrecktem Kreuz. Bei Seidl ist meist Passion im Spiel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Film

Menschen „Im Keller“: Seidl und das Zurichten von Nazi-Souvenirs

Beutet der österreichische Regisseur Ulrich Seidl Menschen für seine Filme aus? Manipuliert er? Und was bedeutet für ihn Sympathie? Zur Debatte um einen Nazi-Devotionalienbesitzer in seinem Film „Im Keller“.
Film

Erwartete Abgründe in Ulrich Seidls Keller

Filmfestival Venedig. Modelleisenbahn und Hitlerbild, Domina und Opernsänger: Ulrich Seidl findet in seinem Dokumentarfilm „Im Keller“ wieder einmal diverse skurrile Obsessionen. Amüsant, aber etwas flau.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.