Sachsen: Rosinenbomber mit feiner Kruste

Blick auf den 580 Striezelmarkt in Dresden
Blick auf den 580 Striezelmarkt in Dresden (c) imago/Robert Michael (imago stock&people)
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Beim Stollen-Backkurs in Dresden zeigt Bäckermeister Henry Mueller, wie man die Zweipfünder fachkundig zubereitet. Blöd nur, dass die Prachtstücke noch zwei Wochen ruhen müssen, bevor man kosten kann. Dann pilgern wir eben auf den Striezelmarkt.

Ein Hauch von Weihnachten liegt in der Luft, ein zartes Aroma von Zimt, Rum und frisch gebackenen Keksen. Zwischen Mehlsilo, Semmelpresse und zwei langen, hölzernen Arbeitstischen wartet Henry Mueller in seiner Backstube auf die fünf Damen, die heute an seinem Backkurs teilnehmen. In weißer Bluse mit aufgesticktem goldenen Dresdener-Stollen-Siegel und schwarz-weiß karierter Schürze serviert er noch schnell ein Glas Rotkäppchen-Sekt zum Warmwerden, um dann direkt in medias res zu gehen.

Ab jetzt, verkündet er, dreht sich alles nur noch um den Dresdner Stollen, jenes „Gebildgebäck“, das angeblich an das in eine Windel gehüllte Jesuskind erinnert. Dresdner Stollen darf sich nur nennen, was in der Stadt und ein paar Randbereichen gebacken wurde, bestimmte Zutatenkriterien erfüllt und damit zu Recht das Siegel der Schutzgemeinschaft Dresdner Stollen e.V. trägt. 130 Dresdner Firmen gehören dieser Vereinigung an. Und in Sachen Produktschutz sind Groß und Klein sich einig: Es kann nur einen geben! Wer immer sich erdreistet, außerhalb Dresdens einen Stollen mit einem Bild des Goldenen Reiters, einem Relief der Frauenkirche oder einem Zusatz wie „nach Dresdner Art“ zu verzieren, bekommt zu Weihnachten nicht Süßes, sondern säuerliche Post vom Anwalt.

Mehr als drei Millionen Stollen wurden 2013 von Dresden aus in alle Welt verkauft. Genau so einer soll in den nächsten vier Stunden in der Backstube in Dresden-Langebrück entstehen. Henry Mueller und seine Frau Ines haben „schon einmal etwas vorbereitet“. Mehl, Butter, Hefe und Milch stehen abgewogen parat, Rosinen wurden über Nacht in Rum eingeweicht und Orangeat, Zitronat und Mandeln gehackt.

Nicht überaromatisieren!

Nach Herstellung des „Hefestücks“, des Vorteigs, gibt der Hausherr einen kurzen historischen Überblick: Der Stollen war einst ein Gebäck für die Fastenzeit vor Weihnachten und wurde, wenig appetitanregend, aus Wasser, Mehl und etwas Rübenöl zusammengeknetet. Genießbarer wurde es erst, als Papst Innocenz VIII. im 15. Jahrhundert den Sachsen erlaubte, ihren „Striezeln“, wie die Stollen auch hießen, Butter beizumischen.

Doch jetzt sind die Gewürze dran. Vanilleschoten aufschneiden, Muskatblüte in den Teig rühren – jeder nimmt so viel, wie ihm zusagt. Bei echten Gewürzen besteht im Gegensatz zu künstlichen Aromastoffen keine Gefahr, den Teig zu „überaromatisieren.“ Für die bescheidenen Zweipfünder, die an diesem Sonntagmorgen entstehen, heißt es jetzt erst einmal, den eigentlichen Teig zu kneten: „In der Mitte Druck geben“, zeigt Henry Mueller, „und nach außen arbeiten. Dabei den Ballen immer ein kleines Stück drehen. Beim Wirken entsteht Spannung um den Teig herum.“ Während die klebrige Pampe sich unter der Hand allmählich in eine elastische Masse verwandelt, wächst der Respekt vor den effizienten, sicheren Handgriffen des Meisters.

Nun werden die restlichen Zutaten eingearbeitet: Mindestens 50 Prozent Butter oder Butterschmalz gehören in einen Dresdner Stollen, bezogen auf die Mehlmenge. Dazu 65 Prozent Sultaninen, 20 Prozent Orangeat und Zitronat sowie 15 Prozent Mandeln. Marzipan je nach Geschmack. Der wichtigste Bestandteil aber sind Rosinen. Damit darf kein Betrieb geizen, soll seine Ware nicht als „Schreistollen“ verrufen werden. So nannte man zu DDR-Zeiten Stollen, die so mager bestückt waren, dass die Rosinen, um miteinander ins Gespräch zu kommen, quasi über weite Entfernungen brüllen mussten. Saßen sie dagegen so dicht beisammen, dass sie fast unhörbar plaudern konnten, hatte man einen der begehrten „Flüsterstollen“ vor sich.

Apropos DDR. Nicht immer waren, wie man weiß, alle notwendigen Waren des täglichen oder feiertäglichen Bedarfs zu haben. Die Lebensmitteltechniker aber zeigten sich erfinderisch: Aus grünen Tomaten bastelten sie etwa „Kandinat T“ und sparten mit diesem Zitronat-Ersatz dem Staat Devisen.

Jetzt öffnet Henry Mueller den auf 190 Grad vorgeheizten Ofen und schiebt die sechs perfekten Teigrollen hinein. Eine kleine Fingerübung ist das für ihn: Ab November füllt er ihn jeden Tag nach der normalen Brot- und Gebäckproduktion mit exakt 96 Zwei-, Drei- oder Vierpfündern. Nach rund fünfzig Minuten geht der Ofen auf – fünf braun gebrannte Prachtstücke mit Rosinen-Sommersprossen lachen frisch gebacken in die Welt. Noch heiß werden sie dick mit flüssiger Butter bestrichen, die jede Pore schließt. Anschließend siebt der Bäcker Puderzucker darüber, der sich mit der Butter zu einer feinen Kruste verbindet. „Zwei Wochen sollten sie ruhen. Dann darf kein Aroma mehr einzeln vorherrschen.“

Mal ganz im Vertrauen, Herr Innungs-Obermeister: Wer backt den besten Stollen Dresdens? Henry Mueller strahlt noch einmal ganz breit die Damen an: „Das kann ich so ni sagen. Aber de scheensten Stollen, die heute ne Dresdner Backstube verlassen – das sind ganz sicher diese Sechse hier.“

Dresden: Infos

Stollen-Backkurs: Die vierstündigen Stollen-Backkurse für bis zu sechs Teilnehmer finden nach Vereinbarung statt. Pro Person 75 Euro – und natürlich darf jeder am Ende seinen Zwei-Pfund-Stollen mit nach Hause nehmen. Feinbäckerei Mueller, Hauptstr. 14, 01465 Dresden-Langebrück, +49/35201/70770, dresdner-striezel.de
Übernachten: Das Hotel Villa Sorgenfrei wurde Ende des 18. Jahrhunderts von einem Freiherrn als Sommersitz erbaut. Die heutigen Besitzer bemühen sich, diese Zeit wieder aufleben zu lassen. Luster im Speisesaal, zarte Barockmöbel und eine Ausstattung der Zimmer in Weiß, Créme und Beige verleihen dem Anwesen Eleganz und Leichtigkeit. Natürlich fehlt es trotzdem nicht an modernster Technik. DZ/F ab 109 Euro. Augustusweg 48, 01445 Radebeul, +0351/795 6600, hotel-villa-sorgenfrei.de
Maritim Dresden: Der riesige Erlwein-Speicher direkt am Elbufer, in dem einst die Stadt Dresden ihre Waren lagerte, wurde in ein schönes Hotel verwandelt. Imposant ist die Halle, vor allem hoch oben aus dem gläsernen Fahrstuhl betrachtet. Die Lage ist ein weiteres Plus: innenstadtnah, mit Blick über die Elbe, der sächsische Landtag liegt direkt daneben. DZ/F ab ca. 100 Euro. Ostra-Ufer 2, +0351/2160, maritim.de
Restaurant Elements: Ganz billig sind sie nicht, die Kürbisgnocchi für 18 oder der Rosa Sauerbraten für 25 Euro. Aber dann kommen Erstere im Kokossud mit Preiselbeeren und Palmherzen daher, und zum Fleisch gibt es Weintrauben, Kartoffelkrapfen und Rotkohl, und am Ende erweist sich der Abend, gemessen am Genuss, als überaus preis-wert. Königsbrücker Str. 96, +0351/2721 696, lebensart@restaurant-elements.de, restaurant-elements.de

Dresden 1900: Natürlich ist das ein Touristentrara. Aber in einem Straßenbahnwagen von 1898 Rinderbäckchen in Rotweinsoße (15.20 Euro) zu genießen oder an einem Wachtelspieß (14.90) zu knabbern – das sollte man sich eben doch nicht entgehen lassen. Wer es besonders sächsisch mag: „Dräsdnor Braadn“, „Scheenes von der Stellze“ und „Mit Griemelgääse übberbagnes Würzfleesch“ gibt's auch. An der Frauenkirche 20, +0351/4820 5858, buchung@dresden1900.de, dresden1900.de
Informationen: Dresden-Information, Prager Str. 2b, 01069 Dresden, info@dresdeninformation.de, +0351/501 501, dresden.de
Der Autor wurde von Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen unterstützt. +49/0251/491700, sachsen-tourismus.de
dresdnerstollen.com
stollenfest.de
kreutzkamm.de
dresden-tourismus.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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