Die Inflationsrate in der Eurozone könnte für längere Zeit im Jahr 2015 unter null fallen.
Frankfurt. Der Ölpreis hat das abgelaufene Jahr auf dem tiefsten Stand seit Mai 2009 beendet. Zu Handelsschluss am Mittwoch lag die US-Sorte WTI bei 53,27 Dollar je Barrel und damit 45 Prozent niedriger als im Vorjahr. Das ist der größte Rückgang nach dem Preiseinbruch 2008 als Folge der damaligen weltweiten Finanzkrise. Die Sorte Brent aus der Nordsee lag am Mittwoch bei 57,33 Dollar je Barrel und schloss damit den vierten Tag in Folge unter 60 Dollar je Fass.
Der Preisverfall setzt Energieexporteuren wie Russland und Venezuela zu. Doch auch für die Eurozone, über der das Damoklesschwert der Rezession hängt, hat er Folgen. Nach Ansicht des Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank (EZB), Peter Praet, besteht das Risiko, dass die bisherigen Maßnahmen der Notenbank zur Ankurbelung des Wachstums nicht ausreichen. „Deshalb müssen wir sehr wachsam sein und uns fragen: Haben wir genug getan?“, sagte Praet in einem Interview mit der „Börsen-Zeitung“.
Die EZB beobachte die Entwicklung des Ölpreises sehr aufmerksam. Der Rückgang und seine Folgen seien ein sehr wichtiges Thema für die nächste EZB-Sitzung im Jänner. „Mit den aktuellen Ölpreisen wäre die Inflation niedriger, deutlich niedriger als bislang geschätzt“, sagte der EZB-Chefvolkswirt. Das könnte eine negative Inflationsrate für einen längeren Zeitraum im Jahr 2015 bedeuten.
Abwärtsspirale droht
Die EZB fürchtet eine Abwärtsspirale aus fallenden Preisen, sinkender Nachfrage der Verbraucher und Investitionen der Firmen. „Je länger die Krise andauert, umso größer sind die dauerhaften Schäden – nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt. Es droht ein wirtschaftlicher Teufelskreis“, sagte Praet. Anfang 2015 wollen die Notenbanker entscheiden, ob ihre bisher ergriffenen Maßnahmen reichen, um die Konjunktur anzukurbeln und die Teuerung nach oben zu bringen. Der Leitzins in der Eurozone liegt bereits bei rekordniedrigen 0,05 Prozent. „Wenn wir noch Spielraum bei den Leitzinsen gehabt hätten, hätte es eine einstimmige Entscheidung im Rat gegeben, diese zu senken“, sagte Praet.
EZB-Präsident Mario Draghi und andere Top-Notenbanker haben daher die Tür für den Ankauf von Staatsanleihen nach dem Vorbild der USA weit geöffnet. Allerdings stößt dieses Instrument wegen rechtlicher Bedenken auf scharfe Kritik. Auch Praet machte sich für Anleihenkäufe stark.
Viele Banken sitzen auf riesigen Beständen an Staatsanleihen. Sollte die EZB ihnen diese abkaufen, könnten die Banken – so das Kalkül – das frei werdende Geld anderweitig nutzen, etwa zur Kreditvergabe. (Reuters/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2015)