Der flüssige Vorhang

Bruecke
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Dreiländereck. Radfahrer ja, Autos von drüben nein: Mehr March-Brücken March wollen nach wie vor nur die Reisende und Slowaken.

Das Treibholz bildet fantastische Skulpturen, der feine Schnee zeichnet filigrane grafische Muster ins Gewirr des Auwaldes. Kormorane tauchen ins dunkle Wasser. Gibt sich die Aulandschaft im Sommer undurchdringlich dicht, gewährt sie im Winter tiefe Einblicke. Im ungewollten „Schutz“ des Eisernen Vorhangs blieben Naturräume unberührt und die Thaya-March-Auen ein artenreiches Biotop: Donaukammmolch und Rotmilan, Wachtelkönig, Biber und Urzeitkrebs sind hier zu Hause. Die Flusssysteme dienen als Wander- und Ausbreitungskorridore für Tiere und Pflanzen.

Menschen aber brauchen Brücken. Doch auch 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die Grenzen des Dreiländerecks Österreich, Tschechien und Slowakei, wo die Flüsse Thaya und March zusammenfließen, nach wie vor weitgehend unüberwindlich. Lange war die Eisenbahnbrücke bei Marchegg die einzige Verbindung, nachdem die Holzbrücke in Hohenau bei einem Eisstoß 1947/48 zerstört worden war. Erst in den 1990er-Jahren wurde zwischen Hohenau und Moravsky Sv. Ján eine Pontonbrücke errichtet. Schwimmende Brücken sind aber nur befahrbar, wenn es weder zu viel noch zu wenig Wasser gibt. Alljährliche Hochwässer werden an der March von sommerlichen Niederwasserständen abgelöst.

Erst 2005 wurde die Pontonbrücke endlich durch eine für den einspurigen Straßenverkehr umgebauten Eisenbahnbahnbrücke abgelöst. Sie ist auf 91 Kilometer Flussverlauf zwischen der Slowakei und Niederösterreich die einzige Autobrücke – und aus Naturschutzgründen nachts für den Verkehr gesperrt.

Bei Angern dient eine kleine slowakische Fähre dem Grenzverkehr (bis 22.00 Uhr) – vorausgesetzt auch hier, dass die March kein Hochwasser und kein Treibeis mit sich führt. Von Touristen wird die liebenswerte Fähre geschätzt, ist man geschäftlich unterwegs, hat man für diese Romantik aber weniger Muße. Bis auf weiteres wird sich hier nichts ändern, da sich die Bevölkerung von Angern bei einer Befragung im September 2014 mit einer beinahe Dreiviertelmehrheit gegen den geplanten Brückenbau gestimmt hat. Schon 1992 war ein Brückenbau an der Ablehnung gescheitert, damals hatten sich 64 Prozent der Befragten gegen eine Brücke ausgesprochen. Gründe der Ablehnung: steigender Verkehr, Angst vor Kriminalität.

Kriege und Eisstöße

Bei Schlosshof wurde 2012 die „Fahrradbrücke des Friedens“ für Fußgänger und Radfahrer, die „unbedenklichen“ Grenzgänger, eröffnet. An dieser Stelle gab es bereits in vergangenen Jahrhunderten Brücken. Die erste war unter Maria Theresia 1771 errichtet worden. Kriege und Eisstöße vernichteten sie mehrmals, bis sie 1880 nicht mehr aufgebaut und durch eine Fähre ersetzt wurde.

In Dürnkrut ließ Graf Palffy 1875 eine Brücke über die March schlagen – sie wurde 1945 von der Deutschen Wehrmacht gesprengt. Auch hier war ein Brückenprojekt in den 1990er-Jahren an der Ablehnung der Bevölkerung gescheitert. Dabei war die Euphorie vor 25 Jahren groß gewesen. Als sich in Europa die Grenzen öffneten standen Menschenmengen beidseits der March und riefen sich Namen von Bekannten und Verwandten zu. In den ersten Jahren nach der Öffnung wurden allerorts temporäre Stege über die March gebaut und von Tausenden Menschen bei Volksfesten genutzt. Diese provisorischen Stege gab es zwischen Dürnkrut und Gajary, Marchegg und Zohor sowie Angern und Záhorská Ves.

Eine Studie des Instituts für Konfliktforschung (IFK) hob 1997 die Bedeutung von Brücken hervor: „Der Großteil der grenzüberschreitenden Bekanntschaften entstand bei den diversen provisorischen Übergängen. Und: In jenen Ortschaften mit einem ständigen Grenzübergang (Hohenau), geben die Befragten häufiger an, Bekannte im Nachbarland zu besuchen.“

Die Thaya-March-Auen sind Lebensraum für 230 Vogelarten, Kormorane, Seeadler, Silberreiher, Schneegänse, Wasserralle, Schleiereule – um nur ein paar zu nennen. Es ist ihr Lebensraum, Zwischenstation für Zugvögel und Winterquartier für Gefiedertes aus Nordeuropa. Bei Dämmerung ist in der winterlichen Au das vielstimmige Schnattern der Enten zu hören. Sie fliegen zur Nahrungssuche auf die slowakischen Felder. Sie brauchen keine Brücken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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