Tödliche Fahrt über die Frontlinie

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An einem ukrainischen Checkpoint wurde ein Kleinbus mit Zivilisten beschossen. Zwölf Menschen starben. Der Beschuss kam vermutlich von Stellungen prorussischer Bewaffneter.

Donezk/Wien. Es ist nur eine kurze Reise von Zlatoustiwka nach Donezk, 80 Kilometer, doch die Fahrt mit einem Kleinbus wurde zwölf Passagieren gestern zum Verhängnis. Sieben Frauen und fünf Männer starben, mehr als zehn weitere wurden verletzt, als das Fahrzeug gegen 14.30 Uhr Lokalzeit an einem ukrainischen Checkpoint im Ort Buhas unter schweren Beschuss geriet – ob durch Grad-Raketen oder Artilleriegranaten ist noch nicht letztgültig geklärt.

Die Bilder, die sich nach dem Angriff in sozialen Netzwerken verbreiteten, waren schauerlich: Die Außenwand des Fahrzeugs ist von Einschüssen durchlöchert, die Scheiben sind zerborsten und der Schnee hat sich vom Blut der Toten und Verletzten in tiefes Rot gefärbt. Seit dem Abschuss der Passagiermaschine der Malaysia Airlines am 17. Juli 2014 hat kein Einzelangriff so viele zivile Opfer gefordert.

Die Menschen, die gestern dem Konflikt in der Ostukraine zum Opfer fielen, waren keine Touristen. Es waren lokale Bewohner, die zwischen der Frontlinie pendelten. Kleinbusse wie der gestern getroffene verkehren tagtäglich zu Hunderten im Kriegsgebiet: Vollgepfercht mit Passagieren suchen die tollkühnen Fahrer der gelben Gefährte der Marke Bogdan ihren Weg zwischen den feindlichen Linien – den Fuß am Gaspedal. Doch an den Checkpoints sind sie zum Anhalten gezwungen. Für die Passagiere angespannte Minuten: Das Risiko eines feindlichen Angriffs ist hier größer als anderswo.

Der gestrige Beschuss des Busses war wohl kaum geplant. Auch traf das Geschoß das Fahrzeug nicht direkt, es dürfte neben ihm in den Boden eingeschlagen sein.

Feuer aus Nordost

Gestritten wird nun über die Urheber des Angriffs, der sich in der Ortschaft Buhas an einer ukrainischen Straßensperre ereignete. Wenige Kilometer weiter nördlich beginnt das Gebiet, das unter Kontrolle der bewaffneten Verbände der „Donezker Volksrepublik“ (DNR) steht. Die ukrainische Seite beschuldigte die Separatisten, für den Angriff verantwortlich zu sein. Der Checkpoint sei „von Grad-Raketen zynisch beschossen worden“, hieß es in einem Statement der Pressestelle der „Anti-Terror-Operation“ der Armee. Das Feuer sei aus nordöstlicher Richtung gekommen – dort, wo die Stellungen der DNR liegen. Die Staatsanwaltschaft in Mariupol nahm Ermittlungen auf. Vonseiten der Separatisten blieb zunächst die Reaktion aus. Sie machten schließlich die ukrainische Armee für die Attacke verantwortlich. Der Parlamentsvorsitzende der Separatisten, Andrej Purgin, behauptete, die Separatisten hätten den Bus nicht beschießen können, da er sich „tief im ukrainischen Gebiet“ befunden hätte. Angesichts der Topografie ein wenig plausibler Vorwurf. Aufgrund der Nähe zur Frontlinie dürfte durch eine Analyse der Schussrichtung die Urheberschaft des Angriffs relativ eindeutig festzustellen sein.

Für die Bewohner von Donezk ist die Attacke „ein Schock“, wie ein der „Presse“ namentlich bekannter Lokaljournalist im Gespräch sagte. Denn der Vorfall ereignete sich auf der Überlandstraße in Richtung der Hafenstadt Mariupol. Diese südliche Strecke galt bisher als der sicherste Weg von und nach Donezk. Die Trasse ist relativ stark befahren – von Lastkraftwagen wie von Pkw der Einwohner, die für die Auszahlung von Sozialleistungen und den Erhalt von Bargeld in das 100 Kilometer entfernte Mariupol fahren. Die Überlandstraße wurde gestern für den Verkehr gesperrt.

Die allgemeine Sicherheitslage hat sich in Donezk in den vergangenen Tagen verschlechtert. Die Kriegsparteien intensivierten den Beschuss am umkämpften Flughafen, Detonationen waren zu hören.

Ein angebliches Ultimatum der Separatisten für die Armee verstrich jedoch. Von ukrainischer Seite werden die zuletzt verstärkten Kämpfe und der Angriff auf den Bus als Versuch der Separatisten interpretiert, die Friedensverhandlungen platzen lassen. Offiziell erklärten die Separatisten zwar ihre Bereitschaft zu Gesprächen – freilich ist denkbar, dass nicht alle Fraktionen in gleichem Maße daran interessiert sind.

Ursprünglich hätte diese Woche im kasachischen Astana ein Ukraine-Gipfel im „Normandie-Format“ stattfinden sollen. Da die Kampfhandlungen andauern und somit wiederholt gegen das Minsker Memorandum verstoßen wird, wurde er abgeblasen. Schweres Militärgerät ist entgegen des Friedensplans bis dato nicht aus der künftigen „Pufferzone“ abgezogen worden. Der gestrige tödliche Vorfall ist trauriges Zeugnis davon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

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