Stephan Schulmeister: "Ich bin gar kein Linker"

Der Wirtchaftsforscher Stephan Schulmeister
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Vom CVer zum Syriza-Fan: Über den Werdegang der großen Ich-AG unter den heimischen Wirtschaftsforschern.

Was Karl Marx und Stephan Schulmeister gemeinsam haben? Auch Schulmeister ist ein ausgezeichneter Analytiker, seinen Lösungsansätzen sollte man allerdings nicht unbedingt vertrauen. Finden zumindest bürgerliche Ökonomen. „Marx ist unbestritten einer der größten Ökonomen. Aber er war schon auch ein totalitärer Denker“, sagt Schulmeister selbst. „Ich bin da eher ein pragmatischer, problemorientierter Denker.“

Stephan Schulmeister, der in Print, Funk und Fernsehen omnipräsente Wirtschaftsforscher, trat in den vergangenen Wochen vor allem als einer der Anführer des österreichischen Syriza-Fanklubs in Erscheinung. Nach dem Syriza-Wahlsieg rief er dazu auf, diesen vor dem EU-Haus in Wien zu feiern. Auch beim Besuch des neuen griechischen Premiers, Alexis Tsipras, in Wien stand er im Schneetreiben in der Jubeltraube vor dem Bundeskanzleramt.

Schulmeister, jahrelang am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) tätig und mittlerweile in Pension, gilt gemeinhin als der linke Ökonom Österreichs. Erstaunlicherweise nimmt er sich selbst gar nicht so wahr. „Ich bin gar kein Linker“, sagt Schulmeister. Ein Linker glaube, von Rousseau aufwärts, dass der Mensch gut sei, nur die Verhältnisse seien schlecht – man brauche also nur die Verhältnisse zu ändern. „Damit können Sie mich aber jagen“, sagt Schulmeister. Die Oktoberrevolution stehe für die klassische Linke: eine radikale, von Intellektuellen von oben herab durchgesetzte Aktion. Er hingegen bevorzuge gewachsene Strukturen, die Folge der Aufarbeitung einer Krise seien – wie die soziale Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hätte die „Realwirtschaft“ dominiert, nicht so wie heute die „Finanzalchemie“. Er sei also ein Freund des Unternehmertums im besten Sinne.

Böse Finanzwirtschaft

Selbst Syriza halte er nur für eine „Notlösung“, es gebe aber keine Alternative. Mit seiner Aufwartung für Tsipras vor dem Kanzleramt habe er ein Zeichen setzen wollen, „damit die EU sich mit den Forderungen der griechischen Regierung ernsthaft auseinandersetzt“. Und schließlich gehe es ihm auch um eine europaweite Abkehr von der „marktreligiösen“ Sparpolitik, die er für falsch hält. Den Aufruf zur Syriza-Siegesfeier vor dem EU-Haus in Wien würde er aber nicht mehr machen. „Da gab es schon sehr viel Kritik.“

Warum Griechenland in die Krise geschlittert ist, ist für Schulmeister sonnenklar. Schuld sind weder Reformverweigerung noch mangelnde Einsicht, dass man auf Dauer nicht mehr ausgeben kann als man einnimmt. Schuld ist – erraten – die Finanzwirtschaft. Diese habe Griechenland zuerst mit niedrigen Zinsen dazu verführt, über die Verhältnisse zu leben. Dann hätten diese Dealer, wie jene von Goldmann Sachs, auf die Pleite Griechenlands spekuliert. Und die danach hinaufschnellenden Zinsen hätten Griechenland erdrückt.

Auch wenn er sich selbst nicht als Linken sieht: Aber so sehen Linke die Welt. Auch wenn ein hochintelligenter Mensch wie Schulmeister natürlich hinzufügt, dass es in Griechenland selbstredend über die Jahre auch hausgemachte Fehler gab.

Katholisch-konservativ

Wie also wurde Stephan Schulmeister, was er ist? In die Wiege gelegt wurde ihm seine jetzige Weltsicht nicht. Sein Vater war der legendäre „Presse“-Chefredakteur Otto Schulmeister, ein katholischer Konservativer. Katholisch und konservativ war auch der junge Stephan Schulmeister. Als er sein Ökonomiestudium begann, war er sogar Mitglied des CV. Zu diesem war er über Werner Vogt, der später als kritischer Arzt und Grünen-Mitbegründer bekannt wurde, gekommen. „Ich dachte damals, alle beim CV sind so wie Werner Vogt.“ Es sollte sich als Irrtum herausstellen.

Die politische Wandlung kam dann im Zuge der 68er-Bewegung. Schulmeister war eigentlich ein glühender Verfechter des US-Engagements in Vietnam. Doch als er die „Pentagon-Papiere“ über die Kriegsverbrechen der Amerikaner las, begann er umzudenken. Sein Vater schrieb weiterhin unbeirrt Pro-USA-Leitartikel, was zu ersten Zerwürfnissen mit dem Sohn, für den der Vater bislang der große Held gewesen war, führte.

„Dann wollte ich wissen, wie dieser Rudi Dutschke, über den man so viel Schlechtes in der Zeitung las, wirklich ist“, erinnert sich Schulmeister. Er fuhr mit einer Gruppe CVer nach Berlin, um mit Dutschke zu diskutieren. Und war danach überaus angetan vom Studentenführer. Und als der Bischof von Santiago de Chile nach der Ermordung von Salvador Allende einen Dankgottesdienst abhielt, trat Schulmeister aus der Kirche aus. „Und ein wenig erinnert mich der heutige Umgang der Eliten mit Tsipras an jenen mit Allende.“ Nur dass die heutigen Eliten lediglich den Geldhahn zuzudrehen brauchten.

Er habe, sagt Schulmeister, damals aber der Versuchung widerstanden, wie so viele andere, die zuvor engagierte Katholiken waren, mit dem gleichen Eifer Kommunist zu werden. „Von einer K-Gruppe zur anderen sozusagen.“ Er sei ja eigentlich ein „Integrationist“, erklärt Schulmeister. Soll heißen: das Gegensätzliche vereinen, mit Widersprüchen leben können. Und er wählt auch gleich ein ökonomisches Gleichnis: „So wie es in den 1950er- und 1960er-Jahren eben Staat und Markt gab.“

Wirtschaft in Zyklen

Schulmeisters wissenschaftliche Haupttheorie geht von der Prämisse aus, dass die Wirtschaft in Zyklen verläuft. Die Aufschwungphase ist charakterisiert durch ein Bündnis zwischen Realkapital (Unternehmer) und Arbeit gegen das Finanzkapital. Dadurch steige die Macht der Gewerkschaften. Woraufhin sich das Realkapital mit dem Finanzkapital verbündet – was eine Krise zur Folge hat. So wie es von 1945 bis heute in der westlichen Welt gewesen sei. Der Ausweg aus der Krise ist für Schulmeister klar: ein korporatistischer „New Deal“. Nicht zufällig ist Franklin D. Roosevelt einer seiner großen Heroen.

In der breiten Öffentlichkeit schlagartig bekannt geworden war Schulmeister 1995. Der Wifo-Forscher hatte eine Abrechnung mit dem Sparpaket der rot-schwarzen Regierung verfasst. „Ausgelöst hat den Rummel (um Schulmeister, Anm.) weniger die Sprengkraft der Reformvorschläge, die in ihrer Substanz an ein grundsolides – allerdings zehn Jahre altes – sozialistisches Arbeitspapier erinnern, sondern die Vehemenz, mit der sich Schulmeister für sein Anliegen in die Bresche warf“, schrieb damals Rosemarie Schwaiger in der „Wirtschaftswoche“.
Dieser missionarische Eifer dürfte dann doch noch ein Relikt seiner katholischen Vergangenheit sein. Auch in seiner Begeisterung für die griechische Linksregierung kommt er nun wieder durch. Wiewohl er selbst sagt, er sei gar nicht begeistert. Er sehe eben nur keine Alternative zu Syriza.
Für Österreich wünscht er sich so eine Alternative links der Sozialdemokratie übrigens nicht. „Ich wünsche mir vielmehr eine Reideologisierung der beiden Traditionsparteien.“

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