AMS: „Sie werden uns die Türen einrennen“

(c) Die Presse (Teresa Zötl)
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Die Jugendarbeitslosigkeit steigt dramatisch an, und die Wirtschaftskrise trifft vor allem jene, die eine Lehrstelle suchen. Über Ursachen und Aussichten: Ein Lokalaugenschein beim AMS.

Wien. Die neue Arbeitslosigkeit hat ein junges Gesicht und rote Strähnen in den Haaren, sie trägt einen türkis-grau-gestreiften Pulli und schwarze Jeans. Eineinhalb Jahre lang war Tamara Ordinationsgehilfin bei einem Orthopäden in Wien; es war ein schöner Job, sagt sie. Doch vor zwei Monaten wurde ihr die Kündigung ausgesprochen, kurz und schmerzhaft. „Wir waren neun Assistentinnen, das ist in Zeiten wie diesen offenbar eine zu viel“, vermutet die 20-Jährige.

Es ist Mittwoch Früh in der Neubaugasse, es ist das Arbeitsmarktservice für Jugendliche. Tamara sitzt auf einem braunen Sessel im dritten Stock und wartet, bis sie (oder besser: ihre Nummer) aufgerufen wird. Wenn sie Glück hat, dann wird ihr der Berufsberater zu einem Job verhelfen. Wenn sie Pech hat, wird sie weiter warten müssen. Monate vielleicht. Oder Jahre.

Doch das Mädchen ist nicht allein. Das sechsstöckige Gebäude ist voll mit jungen Menschen; einige stehen am Gang und rauchen verbotenerweise Zigaretten oder verharren, Luftschlösser bauend, im Stiegenhaus. Es gibt viele Piercings und Baseballkappen, die Ohren sind meist durch Kopfhörer oder Handys bedeckt. Vereinzelt wird auch miteinander gesprochen. Es riecht ein wenig wie in der Umkleidekabine nach der Turnstunde, aber es ist eine Art große Pause, und zwar im wortwörtlichen Sinn.

„Es ist schon sehr deprimierend“

500 Jugendliche im Alter von 14 bis 21 Jahren gehen hier täglich ein und aus, rund 400 davon sind ohne Beschäftigung, so heißt das in der AMS-Sprache. Die aktuellen Arbeitsmarktzahlen sprechen für sich und jedenfalls für eine ausgewachsene Wirtschaftskrise: Im Vergleich zum März des Vorjahres ist die Jugendarbeitslosigkeit österreichweit um 39,3 Prozent gestiegen – und damit stärker als die Arbeitslosigkeit insgesamt (plus 28,8 Prozent).

„Am stärksten trifft es jene, die keinen Pflichtschulabschluss haben oder die aufgrund ihrer familiären Situation psychisch angeschlagen sind“, sagt eine, die es wissen muss, nämlich: Gerda Challupner, 55, diplomierte Sozialarbeiterin und seit 2003 Leiterin des AMS für Jugendliche.

Oliver, ein großer, schlanker Typ mit langen Haaren, kommt an der Seite seiner Mutter zum Beratungstermin. Ein bisschen moralische Unterstützung brauchen 17-Jährige wie er jetzt. Oliver hat einige Kurse absolviert, seit drei Monaten sucht er eine Lehrstelle. Die erste Option heißt Informatiker und die zweite Fotograf, doch seine Aussichten sind alles, nur nicht gut. „Es ist schon sehr deprimierend“, sagt er. „Ich brauche eine Beschäftigung, und ich brauche Geld. Denn ich will endlich selbstständig sein.“

Noch hat die Endzeitstimmung nicht alle Branchen erfasst, der Informationsbereich in der zweiten Etage hat bisweilen auch Positives zu bieten. Da suchen etwa die ÖBB via Plakatständer nach Zugbegleitern und an der Wand steht groß geschrieben: „Machen Sie Karriere bei der Wiener Polizei!“

Auf einem der blauen Tische, zwischen Broschüren-geschwängerten Regalen und Computern, sitzt Hans mit Freunden. Als er sich vorstellt, lachen die anderen, denn Hans heißt nicht Hans, er ist offenkundig nicht österreichischer Abstammung – was seine Chancen auf Arbeit nicht eben erhöht. Denn 60 Prozent der Jugendlichen, die das Gebäude in der Neubaugasse frequentieren, haben Migrationshintergrund, schätzt das AMS.

Hans lässt sich dennoch nicht entmutigen. Immer und immer wieder blättert der 17-Jährige in der Lehrstellenliste, einem 101 Seiten starken Manifest: Merkur, Spar, Billa, Bipa – es gibt unzählige Angebote im Einzelhandel, aber kaum eines im Restaurantbereich, den Hans im Visier hat. Da tippt er sich mit dem Zeigefinger auf die Stirn: „Es ist total mühsam, wenn man arbeiten will, aber nichts findet.“

Dabei steht Wien im Bundesländervergleich noch am besten da. „Wir haben ungefähr dieselbe Zahl an Lehrstellensuchenden wie im Vorjahr“, weiß Challupner. Denn Wien sei ein Dienstleistungs- und kein Produktionsbereich. „Wir haben keine Voest und kein Magna, deshalb macht sich die Krise hier noch nicht so massiv bemerkbar.“

Doch die Betonung liegt auf „noch“, weil die Prognosen nichts Gutes verheißen. Challupner rauft sich die kurzen, roten Haare: „Ich befürchte, dass man im Herbst auch uns die Türen einrennen wird.“ Wenn nämlich wahr wird, was die Wirtschaftsforscher dieser Tage orakeln, dann wird die Arbeitslosigkeit bald noch mehr Gesichter haben, und die meisten davon werden ziemlich jung sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2009)

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