Syrien: "Es wird noch viel schlimmer"

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Ralf Südhoff, Österreich-Leiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, erklärt, warum hierzulande für Syrer ungern gespendet wird.

Die Presse: Das fünfte Kriegsjahr bricht an. Glauben Sie, dass es für die leidende syrische Bevölkerung besser wird?

Ralf Südhoff: Nein, ich fürchte, die Lage wird noch viel schlimmer. Wir mussten unsere Mittel bereits um ein Drittel kürzen und zwar querbeet. Das heißt zum Beispiel weniger Reis und Weizen für Binnenflüchtlinge. Bis Ende Mai fehlen uns über 100 Millionen Euro. Wir haben Angst, die Menschen alleinlassen zu müssen.

Geht der Syrien-Krieg möglichen Spendern nicht nahe genug, oder warum fehlt das Geld?

Die staatliche Bereitschaft, Mittel aufzustellen, geht zurück. Zugleich ist es schwierig, private Spenden zu bekommen. Das liegt auch daran, dass die Menschen nicht gern für Opfer in Konflikten und Kriegen spenden und auch nicht gern für den arabischen Raum. Das sehen wir auch im Jemen oder in Somalia. Der arabische Raum ist vielen kulturell fremd, verglichen etwa mit dem Urlauberland Thailand.

Die Länder, für die es schwieriger ist, Spenden aufzutreiben, sind allesamt muslimische Länder. Spielt Religion eine Rolle?

Schwer zu sagen. Es mag dazu beitragen, dass die Menschen sich denken: „Ich verstehe diesen Konflikt gar nicht und wer da die Guten und die Bösen sind.“ Generell gibt es viele Missverständnisse, etwa dass die Betroffenen selbst schuld sind, wenn sie sich die Köpfe einschlagen oder dass die Hilfe ohnehin nicht ankommen würde. Viele sind auch überfordert zu helfen, weil sie sehen: Vier Jahre Krieg – und keine Lösung.

Fatalismus macht sich breit.

Und das ist jetzt für die Flüchtlinge besonders schlimm. Syrien war kein bettelarmes Land. Viele hatten etwas Geld, als sie vor Jahren flohen oder ein Auto oder Schmuck zu verkaufen. Jetzt haben sie nichts mehr, von dem sie zehren können. Zugleich lässt die Hilfe nach.

Sie sagen, es gebe das Missverständnis, dass Hilfsorganisationen Gebiete gar nicht erreichen könnten. Tatsächlich gibt es neue Zahlen, wonach 4,8 Mio. syrische Hilfsbedürftige in schwer erreichbaren Gebieten leben.

Wir erreichen mehr Menschen, als wir versorgen können. Die fehlenden Mittel sind das Hauptproblem. Es gibt sechs Millionen syrische Hungernde, für die das Welternährungsprogramm zuständig ist. Natürlich ist die Arbeit alles andere als leicht: Ein Kollege schilderte einen Fall, in dem ein Lastwagenkonvoi mit Hilfslieferungen von Damaskus auf dem Weg in eine belagerte Stadt 30 Checkpoints passierte, beim 31. nicht durchgelassen wurde und umkehren musste. Das ist natürlich hoch frustrierend für die Mitarbeiter. Aber zu vielen Oppositionsgebieten haben wir Zugang.

Was ist mit den Gebieten, die der Islamische Staat kontrolliert?

Die lassen uns nicht rein oder wollen unsere Spenden selbst verteilen. Da machen wir nicht mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2015)

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