Momente für die Ewigkeit

FRANCE PARIS FASHION WEEK
FRANCE PARIS FASHION WEEKAPA/EPA/IAN LANGSDON
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Mehr denn je lebt die Mode für den Augenblick: Nach der Semaine du Prêt-à-porter in Paris stellt sich die Frage, ob Kollektionen, die in die Modegeschichte eingehen, heute möglich sind.

Zwei bildhübsche, junge Asiatinnen sitzen im Café, machen Selfies und rücken lächelnd ihre witzigen Accessoires ins Bild; eine Handtasche sieht etwa aus wie zwei Stapel von Kunststofftellern. Aufgeregt zücken Beobachter dieser Szene ihre Smartphones, manche lichten sich nach dem Selfie-im-Selfie-Prinzip gleich selbst mit ab. Zwei Sekunden später stehen alle so entstandenen Aufnahmen auf Instagram, werden geliket und geteilt.

Wenn es eine Szene gibt, die die Essenz der vergangenen Modewochen beinhaltet, dann ist es vielleicht diese. Zugetragen hat sie sich nämlich nicht am Tisch eines x-beliebigen Cafés, sondern in jener Brasserie Gabrielle, die Karl Lagerfeld für das Chanel-Defilee im Pariser Grand Palais aufbauen ließ. Natürlich, der Sinn von Modeschauen war schon immer, sogenannte Iconic Images zu schaffen – unvergessliche Bilder, die sofort um die Welt gehen sollen. In der Ära des 24-Stunden-News-Cycles und der von Fashionistas leidenschaftlich gern genutzten Image-Sharing-Plattform Instagram sind derlei Bilder wichtiger denn je. Denn das Defilee ist eine Verkaufsveranstaltung, mehr aber ein Kommunikationstool für die verschiedenen Marken.

Lady Gaga und Beefeater

Zu mindestens einer Begriffsverschiebung hat die Entwicklung der vergangenen Jahre freilich beigetragen: Einst war von einem Fashion Moment die Rede, wenn ein Designer eine Kollektion vorlegte, bei der auf Anhieb klar war, dass sie nachhaltig die Wahrnehmung von Mode, ja den Lauf der Kostümgeschichte verändern würde. Heute wird völlig irrigerweise ein solcher Fashion Moment schon herbeigeschrieben, wenn, wie in Paris als Abschluss der Valentino-Schau, zwei Hollywood-Schauspieler, Ben Stiller und Owen Wilson, über den Laufsteg hasten. Ein Moment, der Modegeschichte schreibt? Wohl kaum. Ein unterhaltsames Extra mit Wow-Effekt, mehr nicht.

Wenn Lady Gaga bei Balenciaga anfangs über den Catwalk trällert, ist das weniger tragisch, weil Alexander Wangs Vorschläge für dieses schöne Pariser Maison oft entbehrlich dünken. Wenn aber bei Moncler Gamme Rouge als mittlerweile fast obligate „Zückt eure Smartphones“-Einlage am Ende eine Beefeater-Parade im Stechschritt über den Laufsteg marschiert, dann stellt das einen ungerechtfertigt grotesken Abschluss der Präsentation einer stimmigen Herbstkollektion von Giambattista Valli für Moncler dar.

Mit seinen equestrischen Einfällen hat Valli zudem seine Geistesverwandtschaft mit der Welt des Luxus-Sattelmachers Hermès bekundet. Womöglich wollte er im Nachhinein kundtun, dass er sich über ein Engagement als Kreativdirektor gefreut hätte. Doch es ist Nadège Vanhee-Cybulski, die seit dieser Saison die Mode von Hermès entwirft. Die Premiere einer neuen Designerin bei einem so wichtigen Maison wie Hermès, das hingegen hat wirklich Fashion-Moment-Potenzial. Wäre da nicht der Umstand, dass man bei Hermès – wo Vanhee-Cybulski ausdrücklich als „neues Familienmitglied“ willkommen geheißen wurde – betont wenig Wert darauf legt, als Modehaus im engeren Sinn wahrgenommen zu werden. Vanhee-Cybulski zeigte denn auch, dass sie sich intensiv mit den Archiven und Werten von Hermès auseinandergesetzt hatte. Ein an Handwerkerschürzen erinnernder Leder-Overall, ein Kurzmantel mit an Satteltaschen angelehnten Pochettes, die zitatweise Verwendung der Rocabar-Pferdedecke von Hermès: Hier erwies die neue Designerin fast ehrfürchtig der legendären Marke, für die sie nun arbeitet, Reverenz.

Die perfekte Balance zwischen Reverenz und Innovation erreicht Saison um Saison, und jedes Mal mehr zu sich selbst in dieser Rolle findend, Raf Simons bei Christian Dior: Auf Diors blumige „Femme-tulipe“, die Blumenfrau der späten Vierzigerjahre, lässt er nun ein neues Bild, jenes der „Femme-animal“ folgen. Er hält dabei selbstverständlich sichere Distanz zu simplistischen Leo-Prints und entwirft seine eigene, witzige und sehr zeitgenössische Version. Ein babyblauer Strick-Overall mit abstrahierter Giraffenzeichnung dürfte eher als Catwalk-Piece funktionieren und nicht zum Bestseller in den Boutiquen avancieren. Aber auch ein auffälliges Kleidungsstück aus einem Defilee ist natürlich Teil einer Kommunikationsstrategie, subtiler zwar als die Gesangseinlage eines Superstars und doch umso gewiefter, weil mit den Mitteln der Mode selbst entworfen.

Genau darauf verstand sich zeitlebens auch Alexander McQueen, dem das Victoria-and-Albert-Museum in London derzeit eine große Retrospektive widmet. Am Vorabend der Ausstellungseröffnung zeigte seine Nachfolgerin, Sarah Burton, in sehr stimmungsvollem Rahmen eine eindrückliche, McQueens kreativem Geist in jeder Hinsicht gerecht werdende Kollektion.

Mut zu Originalität kennzeichnet stets die Arbeit von Miuccia Prada: Ihre Zweitlinie, Miu Miu, präsentiert Prada in Paris, diesmal bunter denn je, fast wie eine Montage aus Versatzstücken anmutend. Das „Von allem etwas“-Feeling zieht sich freilich durch viele Kollektionen: Nicht nur der Augenblick zählt, sondern auch der einzelne Look, der möglichst stark sein muss. Das erahnt man auch in Nicolas Ghesquières dritter Kollektion für Louis Vuitton, der eher auf verschiedene Facetten einer umfangreichen Garderobe als einen kohärenten Gesamteindruck setzt.

Lagerfeld trotzt dem Frost

Beeindruckend umfangreich – und damit zurück zur Brasserie Gabrielle – war die Chanel-Herbstkollektion; Karl Lagerfeld hatte sich intensiv mit Parkas und Blousons auseinandergesetzt und die Weichen auf Winterliches gestellt – vielleicht hatte er ja bei den Vorbereitungen der Paris-Salzburg-Show 2014 sehr gefroren. Nicht Salzburg, sondern Wien hinterließ indes Spuren bei Valentino: Eine der Inspirationsquellen war nämlich Gustav Klimts Gefährtin Emilie Flöge, was sich in feinem Schillern bemerkbar machte – trotz strahlender Hollywoodstars auf dem Laufsteg.

Ohne Showeffekte, dafür aber von Nutzen für die Designer war der erstmals von der Austrian Fashion Association (AFA) ausgerichtete Showroom für eine handverlesene Auswahl von zehn Labels aus Österreich. Hier ist man weit davon entfernt, das Budget für die Verpflichtung von Hollywoodstars oder auch nur die Ausrichtung eines eigenen Defilees zu haben und muss umso mehr auf das persönliche Gespräch mit Einkäufern und die Wirkung der Kollektion, ihre Verarbeitung, die Auswahl der Materialien setzen. Das ist übrigens wieder nicht anders als bei den „großen“ Designern, denn, allen Vorgängen am Laufsteg zum Trotz, wenn Buyer ihre Bestellungen platzieren, sind keine Selfies schießenden Models im Raum mehr anwesend.

Herbst 2015

Alexander McQueen.Schaurig präsentiert, schön gemacht.

Chanel. Defilee in der Pseudo-Brasserie, fast 100 Looks.

Christian Dior.
Fabelhafte Kollektion von Raf Simons.

Hermès.
Applaus für das Debut von Nadège Vanhee-Cybulski.

Miu Miu.
Jung, poppig, bunter Mix.

Valentino.
Mode als Hommage an Flöge.

APA, Reuters, beigestellt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)

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