Minister Schelling wird wieder einmal mit Rücktritt drohen müssen

Nach der Steuerreform ist vor der Pensionsreform. Tatsache? Komme nicht infrage, sagt Sozialressortchef Hundstorfer. Die Koalition stolpert in ihre Klausur.

Viel wurde durch die Einigung auf die Grundzüge der Senkung der Steuertarife entschieden. Falsch: auf die Grundzüge der Senkung der Tarife und das Erfinden eines neuen, noch höheren Spitzensatzes. Vieles wurde aber noch nicht entschieden, speziell bei dem, was die Politiker Gegenfinanzierung nennen. Da bedarf es noch einiger Nachschärfungen, Präzisierungen und Nachverhandlungen, wie zu erfahren ist. Wir bemühen uns, lernfähig und geduldig zu bleiben.

Im Grund ist aber streng genommen gar nichts entschieden. Außer, dass SPÖ und ÖVP einen Anlass großzügig haben vorbeiziehen lassen, die Zusammenarbeit und womöglich bei dieser Gelegenheit sich gleich selbst aufzulösen. Im Grund ist nichts entschieden, weil es höchste Zeit war, wenigstens ein wenig die Last der – noch immer zu hohen – Steuern zu reduzieren. Und jetzt das Aber: Allein der Begriff Steuerreform ist grob irreführend. Reformiert wurde da nicht viel. Und vor allem hat diese Regierung die großen, die echten Reformen noch vor sich.

Nicht wenige selbst in der Koalition wissen das auch. Der großteils auf Autosuggestion beruhende koalitionäre Schwung nach der Steuereinigung sollte für die Regierungsklausur Anfang nächster Woche in Krems, unweit des früheren Weinguts eines Hobbywinzers namens Hans Jörg Schelling, genützt werden. Jetzt stolpert die Koalition in diese so schön geplant gewesene Klausur.

Stark aggregiert wäre nach der Konzentration auf die Einnahmen des Staats wohl jene auf die großen Ausgaben an der Reihe. Die da sind: für die Verwaltung (die jüngst versprochene Kostendämpfung muss gelebt werden und kann nur ein Anfang sein), die Zuschüsse aus dem Bundesbudget für das Aufrechterhalten des Pensionssystems (die stärker steigen, als es das Budget zulässt), für das Sozialsystem (Treffsicherheit und Transparenz als Stichwörter) und, um eines der großen Zukunftsthemen nicht zu vergessen, die Aufwendungen für Bildung (hoher Input, schwacher Output, international betrachtet).

Was am Donnerstag Sozialminister Rudolf Hundstorfer, von dem man nicht recht weiß, ob er schon für sich als Bundespräsident, Bundeskanzler oder Wiener Bürgermeister wirbt, seinem für die Finanzen zuständigen Regierungskollegen Schelling ausrichtet, kommt für jene, die Steuern zahlen, einer gefährlichen Drohung nahe. Er leugnet schlicht die Notwendigkeit für (weitere) Pensionsreformen. Dabei handelt Hundstorfer offenbar mehr als Gewerkschafter, als Interessenvertreter, denn als Minister der Republik Österreich, der Lobbyisten – ob verfassungsrechtlich zementiert oder nicht – gegebenenfalls die Stirn zu bieten hat.

Natürlich werden wir uns in allen genannten Reformfeldern darauf einstellen müssen, dass die beiden Parteien letztlich von ihren ursprünglichen Absichten Abstriche werden machen müssen. Dass sie sich von ihren recht unterschiedlichen, teilweise, was die Sache nicht erleichtert, ideologisch motivierten Ausgangspositionen aufeinander zubewegen. Dass sie sich zu einem – um endlich das öffentlich verunglimpfte Wort zu verwenden – Kompromiss bereitfinden.

Für orthodoxe Vertreter der reinen Lehre muss es ein Graus sein, nicht all seine Vorstellungen zu 100 Prozent durchsetzen zu können. Dabei müssen schon Kleinkinder mit Verzicht und einem Aufschieben des Befriedigens von Wünschen vertraut gemacht werden. In einer parlamentarischen Demokratie ohne Mehrheitswahlrecht werden wir mit Kompromissen weiterleben müssen. Womöglich sogar mit schlechten. Aber so gut wie immer gilt: Besser ein schlechter Kompromiss als Stillstand.

Vielleicht wird ja auch Hans Jörg Schelling wieder eine entscheidende Rolle spielen müssen. Bei den Verhandlungen über die Steuertarife soll der Finanzminister zur Abwehr neuer Steuern in einer besonders kritischen Phase mit seinem Rücktritt gedroht haben. Vielleicht wird er sich daran bei den mindestens ebenso schwierigen Gesprächen über die mittelfristige Sicherung der Pensionen und das Einbremsen der Ausgaben für die Verwaltung, auch in den Ländern, erinnern. Und mit seinem Rücktritt drohen.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2015)

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