Boko Haram? „Ein Haufen von Amateuren“

Issoufou Mahamadou, President of Niger, listens to a translation as he is introduced to speak at the John F. Kennedy School of Government at Harvard University in Cambridge
Issoufou Mahamadou, President of Niger, listens to a translation as he is introduced to speak at the John F. Kennedy School of Government at Harvard University in Cambridge(c) REUTERS (BRIAN SNYDER)
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Im „Presse“-Interview berichtet Präsident Mahamadou Issoufou über Erfolge im Kampf gegen die Terrormiliz Boko Haram und über die Militärkooperation in der Region.

Soldaten in Galauniform stehen mit erhobenen Säbeln Spalier. Wie ein Fürst schreitet der Präsident Nigers über den roten Teppich erhaben die Treppe seines Palasts hinab. Mahamadou Issoufou trägt eine hellblaue Festtagsrobe, eine „Bubu“, wie das traditionelle Kleidungsstück des afrikanischen Landes genannt wird. Er nimmt auf einem karminroten Sessel mit goldfarbenen Lehnen Platz, um die jährliche Pressekonferenz abzuhalten, die vor dem Palast unter freiem Himmel stattfindet und drei Stunden dauern sollte.

Anderntags sagt er im „Presse“-Interview in seinem Büro im Präsidentenpalast: „Ich bin ein überzeugter Muslim und werde immer gegen diese Typen vorgehen, die im Namen meiner Religion anderen Menschen den Kopf abschneiden, Frauen vergewaltigen und wahllos morden.“ Den Kampf gegen Terror hat der Präsident zum Programm erhoben. Anfang März schickte Issoufou die Armee Nigers in den Krieg gegen Boko Haram im Nachbarland Nigeria. In Kooperation mit dem Militär aus dem Tschad läuft eine Offensive gegen die radikale Islamistengruppe, die im Nordosten Nigerias seit Jahren Angst und Schrecken verbreitet. Die Terrormiliz, die einen islamischen Staat errichten will, hat seit 2009 über 13.000 Menschen auf dem Gewissen. Zudem hält sie tausende Frauen und Jugendliche als Sklaven.

Mythos der Unbesiegbarkeit

Issoufou ist angetan von der Offensive. Alle Städte im Grenzgebiet von Niger und Nigeria sind befreit worden. „Wir haben Boko Haram eine historische Niederlage bereitet. Zwischen 300 und 500 ihrer Kämpfer wurden im Laufe des Vormonats getötet. Man kann sagen, die Operation hat alle Erwartungen erfüllt.“

Seiner Meinung nach sei die militärische Stärke der Terroristen völlig überschätzt worden. Der 63-Jährige sagt: „Wir mussten feststellen, dass Boko Haram ein Haufen von Amateuren ist.“ Sie hätten zwar ihren fanatischen Glauben, der ihnen im Kampf zu Hilfe kommen mag. „Aber gegen uns reichte das nicht aus. Mit dem Mythos der Unbesiegbarkeit von Boko Haram ist es jetzt vorbei.“ Die Mission der Armee sei noch nicht beendet. „Wir werden die Terroristen weiter bekämpfen, bis sie ausradiert sind.“

Anfang Februar hatte Boko Haram, die sich zum Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS) bekennt, nigerische Städte entlang der Grenze zu Nigeria angegriffen. „Da kann man natürlich nicht tatenlos zusehen“, meint der Präsident.

In Absprache mit Idriss Déby, dem Amtskollegen aus dem Tschad, beschloss er die Zusammenstellung einer gemeinsamen Eingreiftruppe. An der internationalen Streitmacht gegen die Extremisten sind auch Kamerun und Benin beteiligt. Es ist das erste Mal, dass eine Koalition afrikanischer Staaten gemeinsam gegen die Jihadisten in den Krieg zieht. Die führende Rolle spielen dabei weiter Niger und der Tschad – ausgerechnet jene Länder, die zu den ärmsten des Kontinents zählen.

Beide sind bereits Teil der UN-Friedenstruppen in Mali. Dort hatten 2012 Tuareg-Rebellen und al-Qaida-nahe Gruppen den Norden des Landes erobert, wurden aber durch die Militärintervention Frankreichs wieder vertrieben. Mit dem Kampf gegen Boko Haram schicken sich Niger und der Tschad an, in die Polizistenrolle der Sahel-Zone zu schlüpfen, zumal Boko Haram die Sicherheit und Stabilität der Region gefährdet, die als eine Pufferzone zwischen Nordafrika und dem Rest des Kontinents fungiert. Eine Ausweitung des radikal-militanten Islam könnte fatale Folgen für ganz Afrika haben.

Polizistenrolle in Sahelzone

„Wir erfüllen nur unsere Pflicht und tragen zur Sicherheit Westafrikas bei“, meint Nigers Präsident. „Wir haben nicht die Ressourcen, auf Dauer der Polizist der Region zu sein“, fügt er hinzu. Der Etat für Erziehung und Gesundheit sei zugunsten der Militärausgaben gekürzt worden. Weit über die Hälfte der Menschen über 15 Jahre sind Analphabeten, das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei etwa 800Euro. Auf dem Index für menschliche Entwicklung rangiert das Land mit Platz 187 ziemlich am Ende.

Präsident Issoufou fordert eine Resolution des UN-Sicherheitsrats zum Krieg gegen Boko Haram. „Dann könnten wir materielle und finanzielle Unterstützung bekommen“, glaubt er. „Man weiß doch, Terror kennt keine Grenzen“, betont er. „Heute ist es Niger, morgen ein anderes Land und übermorgen kann es Europa treffen.“

Beim Krieg gegen Boko Haram ist auch Frankreich wieder mit von der Partie. „Frankreich ist besonders hilfreich“, erklärt Nigers Präsident. „Es liefert die Orientierung für die Angriffe unserer Truppen.“ Issoufou kennt keine Berührungsängste mit der ehemaligen Kolonialmacht. Es ist ein pragmatischer Ansatz: Warum sich nicht helfen lassen, wenn es existenziell wichtig und projektbezogen ist? Neulich wurde mit viel Pomp und Prominenz in der Hauptstadt Niamey der Vertrag zwischen Niger und Benin für eine Bahnlinie unterzeichnet. Die Kosten von etwas mehr als einer Milliarde Euro für das Projekt, das Niamey mit der Hafenstadt Cotonou in Benin verbindet, trägt allein die französische Firma Bollore.

Wirtschaftlichen Aufschwung hätte Niger bitter nötig. Denn mit Libyen ist einer der wichtigsten Handelspartner ausgefallen. Seit dem Sturz des Diktators Muammar Gaddafi gibt es im Nachbarland keinen funktionierenden Staat mehr. Mittlerweile herrscht Bürgerkrieg zwischen zwei rivalisierenden Regierungen. Niger fehlen damit bitter benötigte Einnahmequellen.

Sicherheitsrisiko Libyen

Für Niger und die Sahelzone ist das instabile Libyen ein Sicherheitsrisiko. Denn das Nachbarland ist ein Tummelplatz radikaler Islamistengruppen, zu denen auch der IS gehört. Issoufou plädiert für eine zweite westliche Militärintervention in Libyen. Denn er sehe keinen anderen Weg, wie man sonst der IS-Terrormiliz und den anderen Jihadistengruppen in Südlibyen Herr werden könne. Issoufou hatte bereits 2011 vor den fatalen Auswirkungen eines Sturzes des Gaddafi-Regimes gewarnt. „Wir hatten damals gedacht, Libyen könnte in die Hände von Terroristen fallen. Und was haben wir heute? Chaos.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2015)

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