Terrorismus: "Der IS ist nicht wirklich geschwächt worden"

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Der Islamische Staat (IS) passt seine Strategie flexibel an, sagt der Sicherheitsexperte Mahmoud Mohamedou. Eine taktische Allianz der Terrormiliz mit der al-Qaida hält er in Zukunft für denkbar.

Die Presse: Wie konnte der Islamische Staat (IS) in so kurzer Zeit so stark werden?

Mahmoud Mohamedou: Es ist ziemlich überraschend, dass er so schnell so an Stärke gewonnen hat. Es gibt dafür zwei Hauptgründe: zum einen die Verschlechterung der Situation im Irak. Und das kombiniert mit, zweitens, der Lage in Syrien, wo die Opposition die Kontrolle immer mehr verloren hat und es eine schrittweise Tendenz hin zu den radikaleren islamistischen Faktoren gegeben hat. Es war wirklich eine Verkettung unglücklicher Umstände: Der Verfall in diesen beiden Ländern – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem al-Qaida an Momentum verloren hat, angefangen mit dem Tod von Osama bin Laden im Jahr 2011.

Ein Horrorszenario für viele Experten ist, dass sich die Konkurrenten al-Qaida und IS zusammentun könnten. Ist das realistisch?

Die Beziehung zwischen den beiden ist sehr komplex. Es gibt einen Wettstreit. Aber man muss auch bedenken, dass der IS ein Ableger von al-Qaida ist. Das hat zu Zeiten von Zarqawi (2006 getöteter Chef von al-Qaida im Irak) in den Jahren 2005 und 2006 angefangen. Daraus hat sich schließlich der IS entwickelt. Diese Genealogie ist immer vorhanden und immer wichtig, obwohl sich der IS von al-Qaida emanzipiert hat. Bin Laden und Zarqawi sind bis heute wichtige Figuren für den IS, sie werden in ihren Botschaften immer wieder erwähnt. Eine taktische Allianz zwischen den beiden wäre in der Zukunft vorstellbar – nicht aber ein Zusammenschluss.

Aufgrund des militärischen Vorgehens hat der IS im Irak an Boden verloren. Ist es möglich, die Terrormiliz auf diese Weise zu schwächen und letztlich zu zerstören, wie US-Präsident Obama angekündigt hat?

Ich würde diesen Statements keine zu große Bedeutung beimessen. Wenn man das große Ganze betrachtet, ist der IS im vergangenen Jahr nicht wirklich geschwächt worden. Der IS hat seit Juni die Kontrolle über Mossul – eine ziemlich lange Zeit, wenn man gegen die irakische Armee kämpft, von den USA bombardiert wird. Wir beobachten gerade, wie sie in ihrer Strategie die Territorialität – die IS-Präsenz im Irak und in Syrien – mit transnationalem Einfluss kombinieren. Das haben wir in Libyen gesehen, in Tunesien, in Nigeria mit dem Treueeid von Boko Haram – sogar im Jemen. Das sieht nicht nach Schwäche aus, sondern nach Flexibilität. Wir haben es mit einer großen Bedrohung zu tun, die nicht so leicht zu schlagen sein wird. Zumindest nicht sofort.

ZUR PERSON

Mahmoud Mohamedou, Jahrgang 1968, ist Vize-Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP) und außerordentlicher Professor am Graduate Institute in Genf. Er gilt als einer der führenden Experten über transnationalen Terrorismus. Von 2008 bis 2009 war er Außenminister seines Heimatlands Mauretanien.

Am Montag, 20. April, debattiert er ab 18 Uhr zum Thema „Understanding the Rise of the Islamic State“ am Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Spittelauer Lände 3, 1090 Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2015)

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