Griechenland ganz klassisch: Mit ohne Komfort

Griechenland
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Zurück zur Natur, zu Fuß, per Fähre, mit Rucksack auf eine einsame griechische Insel. Drei Wochen ohne Fernsehen, Kühlschrank, Nagellackentferner oder ein weiches Bett.

Tag null: Kompromisse. Das Leben ist voller Kompromisse. Sein Zugeständnis: drei Wochen Griechenland im Sommer. Meines: mit Zelt und Rucksack. Das Leben ist auch ständiges Lernen: Ein Rucksack, der riesig aussieht, ist innen klein. Das Leben ist drittens voller Entscheidungen, für oder gegen etwas: etwas, das sind heute, am Tag vor dem Abflug, T-Shirts. Drei Wochen, Platz für nur zwei Hosen, zwei Kleider und fünf Oberteile.Es fühlt sich an, als müsste man sich für einen von zwei Tierheimhunden entscheiden. Und es dauert Stunden.

Tag eins: Schwankungen. Der Morgen des Abflugs. Der Versuch, nach Abenteurer auszusehen, ohne die Aura einer Ökofrau zu verströmen. Die Entscheidung, Zöpfe zu flechten (wirkt erdig, aber auch trendy) und Outdoorsandalen zu tragen (sportlich und dank Zehennagellack trotzdem modisch). Der Flughafen. Neidische Blicke auf die Frauen neben uns am Check-in mit ihren kleinen, schicken Köfferchen und den zierlichen Sommersandalen. Eher rustikal-naturverbunden, mit unseren Rucksäcken (weiß ja keiner, wie klein die innen sind) und der riesigen Plastiktüte, in der wir Isomatten und Zelt transportieren. Ich sehne mich nach einer schicken Handtasche. Und wir sind noch nicht mal abgeflogen.

Das Flugzeug schwankt. Ich schwanke. Zwischen der Angst vor der Wildnis. Und Vorfreude auf drei romantische, urige Wochen. Kretas geheime Strände und dann die verwunschene Insel Gavdos: südlichster Punkt Europas, mystische Buchten, kitschige Sonnenauf- und -untergänge, Wein und Kaffee aus Plastikbechern, nur wir zwei in der Wildnis. Herrlich. Hiiilfe!

Tag zwei: Vorbilder. Unser Weg zur einsamen Insel führt erst einmal durch die Zivilisation. Von Heraklion werden wir uns über den Westen von Strand zu Strand in den Südwesten vorhangeln. Und von dort nehmen wir dann in ein paar Tagen die Fähre nach Gavdos, der kleinen Insel ganz im Süden. Momentan fahren wir mit dem Bus. Tolles Transportmittel! Kommunikativ, billig, original griechisch. Man sieht viel von Kreta, ohne sich selbst aufs Fahren konzentrieren zu müssen. Der Chauffeur ruft die Namen der nächsten Ortschaft aus, wir verstehen meist etwas ganz anderes. Trotzdem fühle ich mich sicher. Er klammert sich an der Kreta-Landkarte fest und verfolgt, wieder erkennend nickend, mit dem Finger unsere Route. Ich bin froh, in so souveräner Begleitung zu sein.

Tag vier: Sturm oder Ruhe. Die ersten paar Tage auf Kreta fallen für mich unter „Sturm vor der Ruhe“. Vor der drohenden Ruhe des Campens. In jedem Ort, in dem wir bleiben, um ein, zwei Tage baden zu gehen, suchen wir uns ein kleines Privatquartier. Und jeden Abend wasche ich im Waschbecken des jeweiligen Hotelzimmers alle schmutzigen Sachen, „Wer weiß, wie lang wir noch Zugang zu fließendem Wasser haben.“ Von Heraklion geht's über Chania nach Kissamos, ganz im Westen Kretas. Von hier aus fahren wir jeden Tag ans Meer: Balos, die märchenhafte, türkisblaue Lagune im Nordwesten oder der wundervolle kilometerlange Strand von Falasarna. Er versucht, in der Ortschaft Brennspiritus für den Campingkocher zu organisieren und kommt dauernd mit andersfarbigen Flüssigkeiten zurück (fluchend), die er dann im Kocher ausprobiert. Manche brennen gar nicht, andere in Stichflammen.

Tag sechs: Henkersnacht. Mit der Fähre schippern wir von Elafonisis nach Paleohora, einem immer noch leicht hippiesken Aussteigerort im Süden. Morgen geht die Fähre nach Gavdos. Die Tickets sind gekauft, er packt Vorräte (Dosen, Nudeln, Löskaffee) in seinen Rucksack. Auf dem steht: 45 + 8 Liter. Ich wünschte, er würde 45 + 8 Liter eiskaltes Cola einpacken.

Tag sieben: Krise und Versöhnung. Die große Überfahrt. Sofia heißt das Boot und ist sehr klein. Männer mit dicken Bärten verladen Kisten mit Olivenöl, Klopapier, Kartoffeln und Seife. Es ist das erste Schiff seit drei Tagen, das Gavdos ansteuert. Die Besitzerin des Gemüseladens, in dem ich gestern noch Zwiebeln und Tomaten gekauft habe, hievt riesige Wassermelonen über die Reling und winkt mir zu, als sie mit ihrem türkisfarbenen Moped davonbraust. Zwischen Kisten und Körben suchen wir uns einen Platz ganz vorn im Boot. Auf glitzernden Wellen geht es unter blitzblauem Himmel von Paleohora knapp siebzig Kilometer nach Südosten. Langsam verschwinden die Berge Kretas.

Rundherum Meer

Dann Gavdos. Die Insel erhebt sich steil aus dem funkelnden Wasser, grüner als vermutet. Bäume überziehen den Strand. Unter einem davon wird unser Zelt stehen. Endlich läuft das Boot im winzigen Hafen ein; zwanzig, dreißig Leute tummeln sich hier, Kleinbusse warten auf die Neuankömmlinge. „Agios Ioannis?“ fragen wir ein fast schwarz gebräuntes Pärchen mit riesigen Rucksäcken (innen winzig, wie ich weiß). So heißt der Strand, auf den wir möchten.

Er deutet auf einen der zwei Kleinbusse, am Steuer ein Sonnengegerbter mit langem, weißem Bart, der über ein gelbes T-Shirt wuchert. Vorn, zwischen Scheibe und Ablage, hat er ein Schild geklemmt, auf dem in griechischen Lettern „Sarakiniko“ steht, der bekannteste Strand von Gavdos. „Take this“, sagt der schwarz Gebräunte. Wir sollen bis Sarakiniko fahren und sitzen bleiben. Der Fahrer würde ohnehin immer zu seiner Stammtaverne weiterfahren, von dort könnten wir den Strand Agios Ioannis zu Fuß erreichen. „It's the best place to be“, sagt er. Die ersten Zweifel kommen auf, als ich mich, beladen wie ein Muli, auf meinen Flip-Flops über glühend heißen, nicht enden wollenden Sand quäle. Bergauf. Wir haben's gleich geschafft, sagt er, der (freiwillig, bitte sehr) noch viel mehr schleppt als ich. Hie und da, zwischen Bäumen, an denen wir vorbeischwitzen, lungern Leute herum, vor oder in Zelten, in Hängematten. Alle sind sehr braun und heben lahm, aber freundlich eine Hand zum Gruß.

Und dann sind wir auf einmal da, an unserem Baum, wie er, endlich stehen bleibend und den Rucksack seitlich hinuntergleiten lassend, verkündet. Ich drehe mich um, seinem ausgestreckten Zeigefinger folgend. Zu unseren Füßen wellt sich ein sandiger Hang mit niedrigen, stacheligen Bäumen und Sträuchern durchsetzt bis zum Meer, das in lustigen Wellen in die Bucht von Agios Ioannis hereinrauscht. Richtig. Wir sind da.

Als das Zelt unter unserem Baum endlich aufgestellt ist, packt mich die erste Totalkrise. Ich schwitze, aber es gibt keine Dusche. Ich muss mal, aber es gibt keine Toilette. Ich habe irren Durst, aber weit und breit kein kühles Getränk. Ich lasse mich in den Sand fallen, direkt auf eine harte, unterirdische Wurzel, und möchte heulen. Vor meinem inneren Auge tanzen Reisebüroprospekte mit All-inclusive Angeboten, Betten, Duschen, Kühlschränken und Gepäckträger inklusive. Warum?

Drei, vier Teppiche voller Leute

Aber dann rutschen wir den Hang hinunter zum Meer. In hohen, gierigen Wellen schlägt es mir tiefblau entgegen, spült mir den Sand von den Füßen, spritzt mir das Gesicht nass. Außer uns sind vielleicht drei oder vier Teppiche voller Leute da. Es ist still, bis auf das Meeresrauschen. Darum.

Tag zwölf: Vermissensattacken. Zwei Schwalben schrauben sich hoch über unseren Köpfen in den blitzblauen Himmel. Er rührt mit einem Löffel im blechernen Campingkocher. Unser wichtigster Begleiter. Ohne ihn ginge gar nichts. Kein Nescafé in der Früh, keine Tomatensuppe mittags, keine Fleischbällchen aus der Dose am Abend. Bald sind unsere mitgebrachten Lebensmittel aufgebraucht, wir müssen den 30-minütigen, steinigen Weg zum Minimarkt gehen. Auf wenigen Quadratmetern wird hier alles verkauft, was der Wildniscamper braucht. Vom Rotwein in der Plastikflasche bis zum Knäckebrot. Eigentlich waren wir heute früh eh schon dort. Und mein Gaumen zu einhundert Prozent auf ein kaltes Getränk eingestellt. Und dann: geschlossen. Ohne Grund. So lässig das zwanglose Leben auf Gavdos auch ist, so lästig ist es in solchen Momenten. Mein Kühlschrank zu Hause kommt mir in den Sinn. Ich vermisse ihn! Genau wie den Küchentisch, den Herd, die Dusche und das weiche Bett. Verzeiht mir, dass ich euch schon oft gegen schickere Teile austauschen wollte. Ohne euch ist es ganz schön hart.

Tag 15: Wasserfreuden. In der Nähe des Minimarkts gibt es eine Freiluftsüßwasserdusche. Sie ist alt, provisorisch gemauert und etwa schmutzig – aber das Mekka für alle Camper. Ich warte davor, eine Frau lässt sich Wasser aufs Gesicht prasseln, die Augen geschlossen. Sie sagt auf Griechisch, dann auf Englisch – wir sind hier weit und breit die einzigen Nichtgriechen –, dass Wasser das Wertvollste auf der Welt sei. Während ich dusche und mich glücklich von Sand und Salz befreie, nehme ich mir ganz fest vor, zu Hause den Wasserhahn nicht mehr so selbstverständlich aufzudrehen.

Tag 17: Ooooommm. Eine Uhr haben wir schon lang nicht mehr gesehen, manchmal verbringen wir die Zeit damit, den Wochentag festzustellen. Ich zähle die Einwegkontaktlinsen, die ich extra für den Urlaub gekauft habe, ab. Es muss Donnerstag sein! Unsere Tage bekommen eine Art Routine. Wir wachen auf, wenn's hell wird, spazieren zum Strand, schmeißen uns in die Wellen und lassen uns auf dem feinen Sand trocknen. Während ich beim Zelt Kaffee koche, tritt er den Marsch zum Minimarkt an, kauft Paradeiser, Brot (wenn es welches gibt) und holt in Plastikflaschen Wasser von der Quelle. Wir frühstücken im Schatten, lesen, spielen Karten, schlafen, bis die heißen Mittagsstunden vorbei sind und der Sand nicht mehr zu heiß für barfuß ist. Die Temperatur des Sandes ist unsere Uhr. Heiß, aber irgendwie erträglich: elf bis eins. Unerträglich heiß: Mittagszeit bis zwei, drei. Langsam wieder erträglich: ab vier. Dann gehen wir schwimmen, liegen in der Sonne, geben den bunt-betuchten Hippies lustige Namen und beobachten sie bei ihren Yogaübungen oder beim Meditieren. Auch ich habe meine Pilates-Stunde auf Gavdos nicht aufgegeben. Und muss den neuen Hippie-Kollegen recht geben: direkt am Meer, im Sonnenuntergang, das hat schon was. Oooooommm.

Wenn es dunkel wird, kochen wir, Nudeln meist oder irgendetwas aus der Dose und liegen vor dem Zelt, bis die tausenden und abertausenden Sterne kommen und wir schlafen gehen. Ist doch egal, welche Uhrzeit!

Tag 19: Parallele Countdowns. Unser wildes Inselleben neigt sich dem Ende zu. Wir beginnen einen Countdown: noch zweimal im Zelt schlafen, das drittletzte Mal in den Wellen tauchen, der vorletzte Marsch zum Minimarkt. In meinem Kopf läuft ein zweiter Countdown: In fünf Tagen wieder im weichen Bett schlafen, telefonieren, duschen, fernsehen. Und: in einen Spiegel schauen. Seit über einer Woche weiß ich eigentlich nicht mehr, wie genau ich aussehe. Sommersprossen habe ich bekommen, sagt er.

Seit zwei Tagen stürmt es nachts und morgens, der Wind schaukelt das Meer auf, zerzaust unsere Haare, bläst den feinen Sand in jede Ritze, schüttelt die Zelte durch. Und: hindert die Fähren daran, bis Gavdos zu kommen. Für uns ist der Wind ein willkommener Gast, er bläst uns warm um die Körper und macht die Temperaturen weit über dreißig Grad Celsius erträglich. Ob wir rechtzeitig nach Kreta kommen, um unseren Flug zu erwischen? Wir sind gespannt. Aber auch sehr entspannt. Gefangen zwischen Sonne und Meer? Kein Problem.

Tag 21: Abschied. Die Fähren gehen wieder. Als uns der weißhaarige Busfahrer am Hafen aussteigen lässt, kommt ein Pärchen auf uns zu, hellhäutig und etwas verwirrt. Wie man nach Agios Ioannis kommt, fragen sie uns. Wir erklären das Bussystem, dass man bis Sarakiniko fährt und dann bis zur Taverne sitzen bleibt. „It's the best place to be“, sagen wir noch und hieven unsere Rucksäcke aufs Boot.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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